Die Kuren

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Baltische Stammesgebiete
Kurische Landschaften und kurisches Siedlungsgebiet

Name

Es gibt etliche Deutungen zum Namen dieses Volkes: von altindisch abgeleitet "mager, schwächlich", von estnisch-finnisch "link" im Sinne von "links der Düna", von zemaitisch "Haken, Henkel", von polnisch "Hahn, Henkel", von litauisch "Nichtsnutz", von litauisch "strauchbewachsenes Land" und so weiter. Kunstmann [1] leitet sogar armenisch-kaukasisch ab: "Volk des Kyros". Die einleuchtendste Erklärung gibt Wolfgang P. Schmid [2], der sich intensiv mit der nehrungskurischen Sprache auseinandergesetzt hat und von "kurs, krs" ableitet, eine Wurzel, die auch lateinisch "currere" (laufen) und englisch "to hurry" (sich beeilen) zugrunde liegt. Schmid verweist auf "cursum expectare" (auf günstigen Wind warten), italienisch "corsare" (Pirat), französisch "courir, corsair" (beeilen, Seeräuber) und kommt letztlich zu dem Schluss (auch in Anbetracht der seeräuberischen Lebensweise dieses Volkes), dass der Eigenname der Kuren „beweglich, schnell zur See fahrend“ bedeute.

Lettisch heißen die Kuren Kursi und Kurši, nehrungskurisch Kursenieki und Kāpenieks (Dünenbewohner, Koperniker), russisch "Korsb" und livländisch "Kurali".

Urkundliche Erwähnungen

  • Rimbert´s Vita Anskarii, die zwischen 865 und 876 verfasst wurde, spricht von Cori.
  • Die Nestorchronik (1116) spricht von Litva, Zimegola, Korsb und Libb.
  • In Heinrichs Chronicon Livoniae (1227) wird erwähnt, dass die Curones nicht nur Gotland sondern auch Dänemark und Schweden überfallen haben.
  • Ein Anonymus Mitte des 13. Jahrhunderts erwähnt nicht nur die Prußen (Pruscia) sondern auch das Samland und Kurland: "Zambie iungitur Curlandia" sowie "Curlandiam sequitur Livonia".
  • Die Livländische Reimchronik (um 1290) spricht in den Versen 351-358 von der fünfzig Meilen langen Küste Kurlant und von den Öselern, die "der Kuren nakebur" sind.
  • Isländische Sagas bezeugen schwedisch-dänische Rivalitäten um die Herrschaft über Kurland.
  • Peter von Dusburgs Chronica Terre Prussia (um 1326) berichtet: "Memela eciam est fluens acqua descendens de regno Russie circa castrum et civitatem Memelburgk intrans mare, ipsam Russiam, Lethowiam et Curoniam dividens eciam Prussia" (Anmerkung: Russiam ist das schalauische Königreich Ruß). Weiter berichtet er von der Niederlage des Ordens gegen Litauer und Kuren "in terra Curoniensi in campo iuxta fluvium Durbin" (1260), vom Stagnum Curoniense und vom Stammesgebiet "terra Carsovie" (Karschauen im östlichen Memelland, das entweder den Zemaiten oder den Kuren zuzuordnen ist). Letztlich berichtet er von der Nehrung und der Befestigung Neuhaus: "fecit dicta Neria super litus Maris Salsi castrum firmum, quod dicitur Nova Domus".

Geografie

Nordkurische "bebaute" Gebiete Lettlands

Die erste urkundliche Erwähnung am 28. Dezember 1230 über die Besitzergreifung Kurlands ist der Vertrag des Balduin von Alnas mit den Kuren. Die Ortsnamen zeigen, dass es sich um die Westküste Kurlands handelt: Esertue, Durpis, Saggara, Thargole, Osua, Langis, Venlis, Normis, Kiemala, Pygawas, Sarnitus, Riwa, Sacez, Edualia, Aliswanges, Ardus, Alostanotachos, Winda. Der Urkunde ist ferner zu entnehmen, dass das Land bereits eingeteilt war und dass hier bereits kleinere Siedlungseinheiten, also Dörfer vorhanden waren, denn diese traten gegenüber dem Orden, unter Führung der Ältesten, als Vertragskontrahenten auf, (1230/ 31). So hatten die Dorf-Ältesten Leute für Heerfahrten gegen die Heiden aufzubieten, denn in der Übereinkunft des kurländischen Bischofs mit dem Deutschen Orden heißt es: "Weret dat is geschege, dar die viende des geloven snelliken int land sprengeden, so mogen uns boden in der brodere guit, und der brodere boden in uns guit, die lude to der malawen eisschen, bi den eilsten der dorpe".

Vredecuronia

Der Name setzt sich zusammen aus vrede: Friede, Grenze und Curonia und wurde nur zwischen 1252 und 1260 erwähnt. Zu dieser Landschaft gehören die Örtlichkeiten Arevale, Popen (Pope), Topen/ Copen, Vietsede, Puse (Puze), Ugale (Ugāle), Amulle (Amule), Vede (Vēde), Anse, Matre (Matra), Moden (Modes), Cersangere, Danseweten, Rende (Rinda), Walgele (Valgāle), Cabele (Kabile), Pedewale, Zabele, Candowe (Kandava), Mattecul (Matkule), Wane (Vāne), Pure (Pūre), Tuckmen (Tukumi), vum terris desertis inter Candowe (Kandava) et Semigalliam; item Assen (Ases), Ladze (Lazdas), Uge, Talsen (Talse), villa Husman.

Wynda/ Venta

Diese Landschaft schließt sich südwestlich an Vredecuronia an und bezieht sich namentlich auf den Fluss Venta, dem wiederum die Bedeutung venys: Weideland zugrunde liegt. Hier liegen Windau-Fluss, Cervigal, Laydze, Rapaden, Venese, Goldinghen (Kuldīga), Sirien, Terewenden (Tervende), Apussen (Apuze), Cisse, Edvale (Ēdole), Lessede, Hasowe (Užava), Ambele, Sarneke, Vrien, Lanze (Landze), Winden (Ventspils), Wense, Udren (Ūdrante/ Ūdrande), Targele.

Bandowe

Dieser Landschaftsname existiert zwischen 1230 und 1253 und leitet sich von banda ab: dem Knecht zur Nutzung überlassenes Land, Viehherde. Das Gebiet umfasst die mittlere (Venta) und ist von der Ostsee durch Bihavelanc getrennt. Hierzu zählen Amboten (Embūte), Calten, Baten (Bāte), Warve (Vārve), Elkene, Assiten (Asīte), Rese, Cepse, Padoren, Celde, Lene (Lēna), Nedighen, Perbona, Calvien (Kaļvi), Apussen (Apuze), Asenputten (Aizpute), Zameiten (Zemīte), Scherenden, Walteten, Sargamiten, Wepele, Lippete, Libben (Lipāja ?), Scrunden, Iierien, Turlose (Turlava), Alswanghen, Arsen, Assen, Ierusalem, Arolde, Santike, Weysen, Pakkare, Nitten (Nikta), Sceden (Šķēde), Payulden, Wyllegalle (Vilgāle), Eze (Eža), Kewele (Ķēvele), Cormele, Kemele, Ywande (Īvande), Tygwe (Tigve), Carilanken, Nabba (Nabe), Memcute, Swelgode, Welse (Veldze).

Bihavelanc

Bihavelanc ist eine deutsche Bezeichnung: beim Haff entlang. Diese Landschaft liegt also an der Ostseeküste. Örtlichkeiten dieser Landschaft sind Razge, Barta (Bāta), Wartan, Percunenkalwe, Duvenelke, Prusse, Karkele (Kārkļi), Sintere, Salene (Saliena), Sakke (Saka), Warta, Deteten, Unseten, Ylse (Ilze), Lypa (Liepa), Gaweysen (Gawieze), Warva (Vārva), Donen, Pene, Octo (Okte), Zilse, Lindale, Troyst, Jewaden, Byrsegalewe, Gerwe, Boynseme, Drage, Crote (Krote), Aparate, Ylmede (Tebra), Duppele, Grobyn (Grobiņa), Nercs (Nerza), Strutte (Strutele), Telse (Tāšu), Aystere (Aistere/ Aizteres), Virgenare (Virga), Riwa (Rīva), Medce (Medze), Medda, Lyva.

Südkurische "unbebaute" Gebiete im Memelland und in Zemaiten

Kurisches Haus, typischerweise ohne Schornstein, damit auch im Winter die Netze und Fische getrocknet werden konnten.

Der Begriff "unbebaut" heißt in Ordenszeiten nicht, dass das Land unbesiedelt war sondern dass hier keine Landwirtschaft betrieben wurde und dass der Orden plante, dieses zu ändern. In Urkunden von 1253 heißt es "schedunge der lande, die do besaten weren", "die lande, die wi noch nicht gedeilet hadden". 1291 wird festgestellt, dass ein Fortschritt in der Besiedlung und Bearbeitung des Landes nicht stattgefunden hat, und etwa ein Jahrhundert später wird die Aussichtslosigkeit der Durchführung eingesehen. 1328 wird das Memelgebiet an den Preussischen Orden abgetreten, 1392 verzichtet der Bischof auf seinen Anteil.

Es war zudem gefährlicher Boden, denn dieser Landstrich war als Durchgangsgebiet zwischen Preußen und Livland wichtig, und so mancher Christenmensch wurde dabei am Strand eingefangen und ermordet. Wege durch das Landesinnere wurden nach Möglichkeit vermieden, denn sie waren wegen der Unwegsamkeit ohnehin nur mit Hilfe von Einheimischen zu bewältigen und bedurften einer ausgeklügelten Logistik. "do wir ouch eigentlich gehandelt und gewegen haben beide, den nutz und ouch den schaden unsir kirchen, und sonderlich gemerket, das die land derselben unsirer kirchen an dem meisten theile wüste und an gruelichen wiltnissen und nemlich am ansprunge der heidenschaft gelegen sien und mit in grenitzen, und wir ouch und unser kirche zu schwach und zu arm darzu sien das wir die land beweldigen und sie von der heidenschaft schutzen und beschirmen mochten..., sien wir eins worden mit dem ... ganzen Orden...

Da der Orden dieses Gebiet nie wirklich besessen hat, konnte er es auch nicht durchgehend aufteilen. Die Gegend war trotzdem nicht unbesiedelt, denn es lebten hier Fischer und halbnomadische, die Werte der Wälder nutzende Jäger. Für die Besiedlung sei hier die Verlehnung des Burggebietes Krottingen an vier Personen erwähnt (April 1253): Velthune, Reygin, Twertiken, Saweyde. In der Livländischen Reimchronik unter 6977 ist zu lesen: "In was ein burg gelegen bie uber guter milen dire, Kretenen was daz hus genant. vil dicke quamen sie gerannt zur Mimele vor daz burgetor ... die brudere sehre daz verdroz, daz ir hochvart was so groz. einer reise wart von in gedacht ... kein Kretenen stunt ir sin. beide zu vuz unde geritten quamen sie kreftic dar mit zorne uf der brudere schar ... in was zu starc der heiden wer ... doch half in got von himele, daz si quamen zur Mimele." (Ihre Burg war drei Meilen von Memel entfernt, Krottingen hieß sie. Sie kamen sehr oft vor das Burgtor von Memel marschiert; diese Frechheit bereitete den Rittern großen Unmut. Sie heckten ein Unternehmen aus - Auf nach Krottingen! Zu Fuß und zu Pferd kamen sie mit Wucht auf das Ritterheer zu, aber der Heiden Wehr war zu stark. Sie konnten Gott im Himmel danken, dass sie Memel wiedersahen.) Des weiteren sei die Bestimmung von 1253 über das Fischerei-Erbrecht genannt: "Vortmeir war it sich gevile der brodere lude in unser visscherie to visschene, die solen uns den teende geven, und dat sulve solen unse lude den broderen wider don, also dat nieman ut besloten en werde von sime erve in dirre vorbenomede visscherie."

Duvzare, Dovzeren, Duizare

Der Name setzt sich zusammen aus dem Zahlwort duvi/ dui: zwei und entweder ezers: See oder zars: Ast. Hier liegen die Örtlichkeiten Birstele (Birstel-Fluss), Dames (Gr. und Kl. Dahmen), Empilten (Impelt/ Ipiltis), Loke (Luka), Papissen (Pesse/ Pese), Patteycias (Kalleten/ Kaleti), Pretzele (Groß Gramsden), Rutzowe (Rutzau/ Rucava), Trecne (Gr. und Kl. Trecken/ Trekni), Velienen (Wellin am Kirbe-Moor), Virga (Wirgen). Nicht lokalisiert wurden Peynis und Warze/ Warse.

Ceclis (lit. Keklys)

Der Name deutet auf einen bunten Bewuchs mit Gebüsch und Büschelblumen (žemaitisch "cekelis": farbig). Diese Landschaft umfasst die Flussgebiete der Virvyčia, Minge, Jūra (Oberlauf) und Barta sowie die Zuflüsse der Šventoji. Örtlichkeiten dieser Landschaft sind Alizeyde (Alsedžiai), Apusse (Apsze-Fluss), Appule (Apuole), Bebrungis (Babrungenai), Birsine (Biržine), Dobe (Duobenai), Duzene (Dusai), Embare (Imbare), Garde (Kalvarija), Gandingen (Gandinga), Garisda (Gargždai), Gresc (Grösen/ Grieže/ Grieze), Grumsle/ Grumste (Gruste/ Grunschen/ Grunsten), Kartine (Kartena), Letzime (Lekeme), Leypiasseme (Lieplaukis), Lobe (Luoba), Maysedis (Mosedis), Nateye (Notenai), Nedingen (Medingenai), Newarie (Nevarenai), Pilenen (Peleniai), Pomenie (Minge), Pregelwe (Pregalva), Pylwe (Piteve-Fluss), Remtene (Remte-See), Retowe (Rietavas), Sansugale (Žasugalas), Sare (Žarenai), Schoden (Schoden/ Skuodas), Vesete (Viešeta-Fluss), Vieswe (Viešvenai), Vitwizen/ Vicwiten (Vitvite-Fluss/ Widwit-Fluss), Zegere (Gegrenai), Zelende (Gelindenai), Zesele (Gesalai). Nicht lokalisiert sind Pretzitwe, Amelinge, Calneseme/ Kalnesemme, Spermes/ Spernes, Zelecoten, Seculmzeme, Eycayswe.

Megowe

Diese Landschaft umfasst den schmalen Küstenstreifen von Polangen bis Memel und reicht östlich bis Kartena. Der Name bedeutet Wald. Für Besiedlung und vor allem für die Gefährlichkeit dieses Landstriches die Ordensritter betreffend spricht die Ältere Hochmeisterchronik 1372: "Do her czur Memel quam, do quam der Voigt von Grobyn mit wenig brudern und sprach, das sie nymant uff dem strande segen noch hörten ... dy quamen zcu dem meister zcu Palange, und sprachen, das der strand reyne were." (Als er nach Memel kam, kam der Vogt von Grobyn mit einigen Brüdern und sprach, dass sie niemanden auf dem Strande gesehen noch gehört hatten ... die kamen zum Meister von Palanga und sprachen, dass der Strand frei sei.) Hierzu gehören Aggemine (Akmena-Fluss), Caukas (Kiaken/ Kayken), Cretyn (Krottingen/ Kretinga), Dupie (Dupulčiai), Dwiristis (Groß Wirsteniken/ Virštininkai/ Virkštininkai), Gowrene (Gaure/ Gauris), Lasdine (Lazdininkai), Maycinele (Kurmaičiai), Palange (Polangen). Nicht zu lokalisieren sind Nebarge, Matwa/ Matuwa und Waste.

Pilsaten

Der Name dieser Landschaft um Memel herum leitet sich von "pil, pilstu, pilt, pilti": fließen, gießen, schütten, tröpfeln ab und weist auf wasser- und sumpfreiches Areal. Zu dieser Landschaft gehören die Örtlichkeiten Ackete (Ekitten), Calaten (Kollaten), Drivene (Drawöhnen/ Heuschlag im Gebiet Sarden), Galmene (Kerndorf/ Callnuwöhnen), Lassiten (Leisten/ Lausti), Castellatura Poys (Plantage nördlich von Memel), Burg Mutene (Groß Tauerlauken), Pelltien/ Pellicen/ Schanze Piltynas (Sudmanten Trusch), Sarde (Szarde), Sarde-Fluss (Schmelzfluss/ Schmeltelle). Nicht lokalisiert sind Untergebiete von Poys: Twartikini, Negelite, Suntelite, Octen.

Lamotina

Diesem Landschaftsnamen liegt lama: Pfütze, Sumpf zugrunde. Das Gebiet um Heydekrug wird in Ordensurkunden nicht genau beschrieben, was für eine sehr spärliche Besiedlung spricht. Eine Wegbeschreibung der Ordensritter vom 18. Dezember 1384 berichtet lediglich von geografischen Gegebenheiten, nicht aber wie in nördlicheren Gebieten von Gefahren, die von Bewohnern ausgehen könnten: "Dese wege hat Gayline de tolk von der Memel gegangen ... als man von der Memel will wczin ... so mus man die erst nacht legen vff der Menye, das sint III milen von der Memel; von der Menye sind III cleine mile vff die Wewerse, do liet man die andir nacht, do czwischen liet eyn cleyn vlis, das ist eyne myle von der Menye und heist Ayse; von der Wewerse sint III cleyne mylen bis vff eyn flys, das heist die Grawmanape, do leit man die dritte nacht; doczwischen geet ouch eyn flys, das heist die Sweisna..." (Diese Wege hat Gayline der Dolmetscher von Memel geführt ... Will man von Memel aufbrechen, muss man die erste Nacht an der Minge bleiben; das sind 3 Meilen von Memel. Von der Minge sind 3 kleine Meilen bis zur Wewirsze; da bleibt man die andere Nacht. Dazwischen ist ein kleiner Fluss eine Meile von der Minge entfernt, der heißt Aise. Von der Wewirsze sind 3 kleine Meilen bis zu einem kleinen Fluss, der heißt Graumena. Da bleibt man die dritte Nacht. Dazwischen geht auch ein kleiner Fluss; der heißt Schwekschna." Die Ostgrenze wird nicht weit westlich der Jūra lokalisiert, als Westgrenze gilt das Kurische Haff. Im 15. Jahrhundert berichtet der ehemalige Ordensvogt von Žemaiten, Michael Küchmeister, an den Hochmeister: "auch hab ich en undirwiset, dass off unser seite der Jure nykeyn Samayte ny gewonet hat, wenne das land tzwisschen der Jure vnd dem Kuwrisschen Habe das heysset Lamyschken."

Die Kultur der Kuren

Nidden, kurische Wohnstube

Schon im 4. Jh. v. Chr. wurde das Memelland besiedelt. Es handelte sich um Kulturen, die, durch archäologische Funde belegt, aus der Dnjpr-Region in Weißrussland stammen. Zu der sogenannten Memelland-Kultur zählen auch die zu den indo-europäischen Baltenstämmen zählenden Kuren, die sich etwa ab 2500 v. Chr. entlang der Ostseeküste ansiedelten.

Etwa vom 2. bis 5. Jh. nach Chr. spricht man vom „Goldenen Zeitalter der Balten“, denn während dieser Periode wird eine langwährende ungestörte Besiedlung durch etwa 1000 Gräberfelder nachgewiesen, weil die Bestattungsriten während dieser Zeit unverändert geblieben sind. Die Gräber der Kuren unterscheiden sich von anderen dadurch, dass die Toten inmitten runder oder rechteckiger Steineinfriedungsringe bestattet wurden. Auch gab es keinerlei Anzeichen von Abwanderungen, Bevölkerungsverschiebungen oder von Invasionen fremder Stämme.

In der mittleren Eisenzeit, der Zeit zwischen dem 5. und. 9. Jh., veränderten sich die Lebensbedingungen der baltischen Stämme, denn von Osten und Süden her wurden sie durch die Expansion der Slawen unter Druck gesetzt, und von der Ostsee drängten Schweden und Wikinger ins Land. Die prußischen und kurischen Stämme spielten während dieser Periode die führende verteidigende Rolle unter den Baltenstämmen.

Totenkult

Nidden, kurische Grabtafeln in Krötenform


Kurische und prußische Siedlungen sind an der Art ihrer Bestattungen unterscheidbar: Die Prußen äscherten ihre Toten ein, während die Kuren ihre für sie typischen Körpergräber bis ins 7. Jh. beibehielten. Sie gebrauchten immer noch Steinwälle, inmitten denen die Gräber wabenförmig nebeneinander liegen. Erst ab dem späten 7. Jh. und dem 8. Jh. wurde die Einäscherung übernommen. Dass die Kuren sich gegen skandinavische Einfälle wehren mussten, belegen Grabbeigaben.

Burgberge

Ab dem 5. Jh. sind Burgberge belegt. Diese Hügelburgen wurden bevorzugt auf Steilufern oder in Gewässern auf Landzungen errichtet und mit Wällen aus Baumstämmen und gestampftem Lehm befestigt. Der Innenraum einer solchen Burg betrug zwischen einem halben und einem ganzen Hektar. Die erste urkundliche Erwähnung der Kuren stammt aus dem 9.Jh., als ein gewisser Rimbert schreibt: „Ein Volk, das Chori genannt wird und fern von ihnen lebt, war einst von den Schweden unterworfen worden. Aber es ist schon so lange her, daß sie sich erhoben und das Joch abschüttelten.“

Kontakt mit den Wikingern

Meriankarte von 1650

Der Kontakt mit ihren Feinden scheint sich auch auf das Verhalten der Kuren abgefärbt zu haben, denn zwischen dem 11. und. 13. Jh. hatten sie sich zu den „Wikingern unter den Balten“ entwickelt. Obwohl sehr reich, machten sie sich wagemutig auf Beutezüge. So musste Dänemark seine Küsten sommers wie winters schützen. In einem überlieferten Gebet heißt es: „O mächtiger Gott, bewahre uns vor den Kuren.“ Chroniken des 13. Jh. berichten, dass Kuren mehrmals Dänemark und Schweden verheerten, plünderten, Kirchenglocken und anderes Gerät mitschleppten. Adam von Bremen riet allen Christen, die kurländische Küste zu meiden. Kurische Geräte, wie sie typisch für die Gegend von Memel und Krottingen sind, wurden auch in Skandinavien gefunden. Wikingerstützpunkte gab es im Kurischen Haff, so zum Beispiel das Wikinn Werder an der Atmath, nördlich von Warruß in der Nähe der Windenburger Ecke.

Bereits im 10. und 11. Jh. zog das reiche Kurland, das einen außerordentlichen kulturellen Aufschwung genommen hatte, beutegierige Wikinger, Schweden, Dänen und sogar Isländer an. Diese wurden aber recht häufig von den Kuren in eine Falle gelockt und im Gegenzug an deren Küsten ausgeplündert. Sogar die isländische Egilsaga beschreibt Einzelheiten aus dem Leben eines kurischen Feudalherren.

Siedlungsgebiet der Kuren

Südkurland und seine Nachbargebiete in der Mitte des 13.Jahrhunderts

Im 12. Jh. vollzog sich jedoch eine allmähliche Wandlung, denn als die Ordensritter eindrangen, waren die südkurischen Landschaften nahezu menschenleer. Der Großteil der kurischen Bevölkerung war nach Norden abgewandert. Die Ursache lag in lange Jahre anhaltenden Niederschlägen, die zu einer Klimaveränderung geführt hatten, welche die Menschen langfristig veranlassten, ihre feuchten Wohnplätze in den Niederungen entlang der Ostsee aufzugeben und in den an sich klimatisch ungünstigeren Norden auszuweichen. Zahlreiche Ordensurkunden befassen sich mit kurischen Landschaften und geben Auskunft, dass Nordkurland besiedelt war, also auch aufgeteilt werden konnte, während die südkurländischen Landschaften als „den landen, die noch ungebuwet sin“ bezeichnet wurden. Dass der Süden Kurlands nicht gänzlich unbesiedelt war, wird auch in Ordensurkunden belegt, denn man bediente sich häufig der kundigen eingesessenen „seniores“, wenn es darum ging, Landstriche zu kennzeichnen und zu benennen.

Unter den südkurischen Landschaften versteht man Duvzare, den Küstenstrich nördlich von Polangen, die Küstenbereiche des Memellandes Megowe, Pilsaten und Lamotina, sowie die Landschaft Ceclis, die weit in das heutige Szemaiten hineinreicht. Die prußischen Schalauer bewohnten die Gegend südlich und nördlich der Memel, während die vermutlich szemaitischen Karschauer den östlichen Zipfel des Memellandes besiedelten. Als Grenze zwischen Schalauern und Kuren gilt die Minge.

Allen diesen südkurischen, szemaitischen und nadrauischen Gebieten ist gemeinsam, dass sie ab dem 12. Jh. von der Bevölkerung weitgehend aufgegeben wurden. Es hielt sich eine geringe Anzahl die Wildnis durchstreifende Menschen, die diese wirtschaftlich nutzten (Jagd, Fischerei, Bienenwirtschaft). Wenn auch durch den Abzug der Kundschaft die Absatzmärkte nahezu weggebrochen waren, so stellte die Große Wildnis für ihre Nutzer doch einen erheblichen Wert dar. Durch diese halbnomadisch lebenden Jäger blieben die vertrauten, sich an natürlichen Gegebenheiten orientierenden Landschaftsnamen erhalten und fanden sich später in Ortsnamen sowohl auf ostpreußischer als auch szemaitischer Seite wieder (Beispiel Krottingen). In vorwiegend litauischer Literatur wird versucht nachzuweisen, dass der Orden die Kuren vertrieben oder gar ausgerottet habe. Dem steht gegenüber, dass die Entvölkerung bereits vor dem Auftreten des Ordens stattgefunden hatte und dass dieses Argument schon deshalb unlogisch ist, weil der Orden die nördlichen (im heute lettischen Bereich wohnenden) Kuren am Leben gelassen hat.

Es ist davon auszugehen, dass die nordkurische Bevölkerung nie die Besuche im südlichen Kuren-Gebiet aufgegeben hat, denn als hervorragende Seeleute kannten sie ihre alten Gründe. Schließlich auch bedeutet der Name Kure „schnell zu Wasser“. Bewohner der Kurischen Nehrung berichteten noch im 20. Jh., dass lettische Kuren bei Schlecht-Wetter Schutz im Haff suchten und bei Nehrungsbewohnern übernachteten. Probleme bei der sprachlichen Verständigung habe es dabei kaum gegeben. Überliefert ist auch, dass die kurische Sprache zuletzt eine reine Männersprache war, die nur auf den Schiffen gebraucht wurde. Da kurische Männer gerne Frauen aus den anderen baltischen Brudervölkern heirateten, war es üblich, zu Hause die Muttersprache und auf See die Männersprache zu sprechen, die ja letztlich auch eine Fachsprache war. Dass sie zudem auch recht rüde war, belegen etliche kurische Familiennamen.

Nidden, Kurisches Haff
  • Am Meer, am Strande,
  • an der Ostsee im Sande,
  • da steht eine Hütte gar lieblich, gar klein.
  • Da wohnte mein Vater,
  • was möglich war, tat er,
  • denn ich war sein einziges Goldvögelein.
  • Auf Wellen, auf Wogen,
  • ward´ ich auferzogen,
  • der schaukelnde Kahn
  • sollt´ die Wiege mir sein. (altes Lied)

Ab dem 14. Jh. setzte eine Rückwanderung der kurischen Bevölkerung in die alten Gebiete ein, denn inzwischen hatte sich das Klima gebessert, und die Wildnis konnte wieder besiedelt werden. Die Kuren kamen recht früh, denn als zunehmend Szemaiten und Litauer als Siedler akzeptiert wurden, befanden sich die Kuren zusammen mit den Prußen bereits in priviligierteren rechtlichen Stellungen. Diese „neuen“ Kuren hatten jedoch ihre alte Sprache weitgehend vergessen und sprachen einen lettischen Dialekt. Zudem lebten ab dem 15. Jh. in den alten südkurischen Landschaften nun auch Deutsche, Prußen, Szemaiten und Litauer, so dass sich unter der ländlichen Bevölkerung eine Sprache herausbildete, die lettisch, prußisch und vor allem zemaitisch geprägt war, sich jedoch in vielen Begriffen vom Litauischen unterschied. Ein wichtiges Bindeglied zur deutschen Kultur war die plattdeutsche Sprache. Dass viele deutsche Wörter übernommen wurden, zeigt das nehrungs-kurische Wörterbuch von Richard Pietsch. Die Landbevölkerung war durchweg mehrsprachig, jedoch beherrschte sie selten die hochdeutsche Sprache, die Sprache des Rechts, der Schulen und der Gottesdienste. So stellte sich die Kirche darauf ein, indem sie je nach Ortschaft deutsch oder litauisch predigen ließ, denn Litauisch war die Sprache, die letztlich alle verstanden und die die Prediger deshalb erlernen konnten, weil sich eine litauische Schriftsprache herausgebildet hatte, während die Sprachen der Kuren und Prußen langsam ausstarben.

Ansehen der Kuren

Die Kuren galten unter ihren ostpreußischen Mitmenschen schon als eigenartiges Völkchen, das man beäugte und über das man so seine Geschichten erzählte. Ihre Häuser galten als primitiv, hatten sie doch keinen Schornstein, und das Innere der Häuser war dem entsprechend verqualmt. Für ihre Bewohner machte das aber durchaus einen Sinn, wurden doch so im Bodenraum die Netze getrocknet und auch die Fische geräuchert.


Religion und Aberglaube

Nidden, Friedhof

„Groß war ihr Aberglaube“, schreiben mehrere Chronisten, und tatsächlich hatte sich der alte heidnische Glaube bis in das 20. Jh. erhalten und wurde zumindest bei Familienfeiern und im Brauchtum noch praktiziert, und es gab unzählige Seher, Wahrsager, Besprecher, Heilmittelhersteller und Quacksalber. An die Bedeutung von Träumen wurde eh´ geglaubt. So erzählte mir der hochverehrte Richard Pietsch [2], der in Funk und Fernsehen als der „letzte Kure“ bezeichnet wird, dass er das New Yorker Unglück des 11. September 2001 vorausgeträumt habe und sehr unter seinen seherischen Fähigkeiten litte und kaum darüber sprechen möge, weil es in unsere heutige rationale Welt nicht so recht hineinpassen will und als esotherisch und spinnerhaft gilt.

Bei den Kuren hielt sich die baltische heidnische Religion bis in die Neuzeit. Auf dem alten Friedhof von Nidden gibt es noch Grabstelen mit heidnischen Symbolen, deren hölzerne Grabmarkierung grundsätzlich die Gestalt einer Kröte hatte, das Symbol für die Erdgöttin und ihre lebensspendenden Kräfte. Daneben werden Vögelchen dargestellt, aber auch Blumen, Schlangen, Bäume und Himmelszeichen. Als während der Christianisierung die heidnische Symbolik verboten wurde, reicherte man die Grabmale listigerweise mit Kreuzen und anderen christlichen Zeichen an und erreichte auf diese Weise, dass sie nicht zerstört werden mussten.

Für die kurische Bevölkerung wurden 1541 in Sarkau und Rossitten Kapellen eingerichtet. Nach 1550 nannte sich der Pfarrer von Rossitten Pfarrer von Kunzen. Zum Kirchspiel Kunzen gehörten auch Inse, Loye und Ackel am östlichen Haffufer sowie Nidden und Karwaiten. Schwarzort gehörte zu Memel, Neegeln wechselte zwischen beiden. 1609 gibt der Pfarrer von Kunzen an, dass: der mehrer Teil Churen und Litauen nicht beten können. Die Visitation von 1670 geht auf die Verhältnisse in Kunzen und Sarkau im einzelnen ein. Am schlimmsten seien die Pillkopper und Preeder. Es gebe Wahrsager, Böther, Segensprecher, auch Salzpuster in Rossitten. Viele, besonders in Pillkoppen und Preeden, entschuldigten sich damit, sie könnten nicht deutsch. Also legten die Visitatoren fest, dass wenn der Pfarrer nur deutsch könne, der Schulmeister aus der litauischen Postille vorzulesen habe. Tatsächlich gab es jedoch in den Pillkopper und Preedener Gegenden Leute, die wirklich nicht deutsch konnten und deshalb dem Gottesdienst innerlich nicht folgen konnten. 1738 wird die Verwilderung der Nehrungsbevölkerung mit drastischen Worten beklagt. Sie seien nur äußerlich menschenähnlich. Auch Ende des 18. Jahrhunderts waren nur 20 % der Bevölkerung dieser Kirchspiele deutsch. Die ihnen fremde Sprache war ursächlich dafür, dass die Obrigkeit den Kuren geistig nicht nahe kommen konnte und dass so der alte heidnische Glaube, die alten heidnischen Riten ihnen weiterhin inneren Halt gaben.

Kuren in Redensarten

Es gab zahlreiche ostpreußische Redensarten, die sich auf die Kuren beziehen. So bezeichneten sich Betrunkene gerne als „von Kuren verhext“, stürmisches Wetter wurde „kurisches Wetter“ genannt, und „Kurischer Kaffee“ war Warmbier mit Schnaps. Mit kurischen Marktfrauen legte sich keine Königsbergerin gerne an, fürchtete sie doch, von ihr verflucht zu werden. Etwas abergläubisch waren die immerhin aufgeklärt tuenden Stadtmenschen doch, um nicht den Geschichten zu glauben, dass die Kuren, wenn sie ihre Marktstände mal kurz verlassen wollten, diese mit einem einzigen Hexenblick derart zu sichern in der Lage waren, dass ein etwaiger Dieb solange angewurzelt stehenbleiben musste, bis der Besitzer zurückkehrte.

Ein Kure sah die Situation allerdings anders: „On wenn man nu heert, de Keenigsberjer Feschwiewer wäre frech on driest, dat wäre nech onse Fescherfruues, dat wäre vielleicht denn de städtsche Kuppelwiewer, de Handelswiewer ute Stadt. Onse Fruues hadde seck fär em Markt scheen trechtjemoakt, se tooge denn frisch jestärkte Röck an on groote schwarte Koppdeeker. On under ehre groote Marktscherz, doa hadde se dat Portmonnee, de Wechseltasch. Joa, on denn wurd da verkofft. Also, eck mott joa segge, de meiste hadde joa Stammkunde, de se all veele, veele Joahre kennte. On eck mott joa segge, de beste Kunde en Keenigsbarch fär de Fescher, dat wäre joa de Jude. De häbbe veel, veel Fesch jejäte. On wenn denn oawends de Fruues denn wedder tohuus wäre, denn wurd dat Jeld jetellt, on wenn neetich, met dem Partner ook forts jedeelt. On dat wär alles meistens Sach von de Fruues. Joa, de Männer, manchmoal am Sinnoawend wäre se joa ook manchmoal doabi, oaber to segge hadde se doa nuscht!“


Kurische Männer

Kalenderblatt nach Ernst Bischoff-Culm "Kirchgang"

Die kurischen Männer werden beschrieben, dass sie fast durchweg bartlos waren und kurzgeschnittene Kopfhaare trugen. In der Regel waren sie mit Jacken oder Jacketts bekleidet, die von weißer oder blauer Wolle gestrickt oder selbstgewirktem Wollstoff hergestellt waren. Dazu trugen sie Drillichhosen und je nach Wetterlage eine Mütze oder einen Südwester. Ging es zum Fischfang, zog man dicke friesähnliche Wandröcke und lange, bis über die Knie reichende Wasserstiefel an. Im Winter trug man Klotzschlorren, im Sommer gingen alle meistenteils barfuß.

Kurische Frauen

Die Frauen trugen langärmlige Blusen unter einem Mieder und dazu karierte Röcke, deren Zahl mit dem Wohlstand einer Frau zunahm. Frauen trugen immer die Galvedran (Kopftuch), Mädchen dagegen nur auf Ausgängen. An Festtagen drapierten sie das Kopftuch um ein Häubchen.


  • Zu den Fischern gehn wir,
  • besuchen Fischer,
  • bei Fischern wollen wir frein.
  • Wie weich die Händchen
  • der Fischermädchen,
  • wie kühl sind ihre Bettchen.
  • Zu Häupten ein Ruder,
  • ein Netz zur Seite,
  • ein Segel zum Bedecken. (altes Lied)


Charakter

Nehrungskuren ernten am Festlandufer des Haffs ihre Heuwiesen ab

Was den Charakter der Kuren betrifft, so wird berichtet, dass sie zäh am Althergebrachten hingen und für Neuerungen, sollten sie noch so zeitgemäß und vorteilhaft für sie sein, fast gänzlich unzugänglich waren. Ein „melancholischer Hauch über ihrem Wesen“ wird mit ihrem immerwährenden Kampf gegen die Elemente, mit ihrer Abgeschlossenheit vom übrigen Leben und mit ihrem Trotz und ihrer scheuen Zurückgezogenheit begründet. Sie werden beschrieben, dass sie in allen Lebensverhältnissen von „strenger Rechtlichkeit“ und „höchst gastfrei“ sind. Andererseits werden sie als unbarmherzig gegen gestrandete Schiffsbrüchige bezeichnet, allerdings das nur hinsichtlich der Schiffsladung. Was an den Strand geworfen wurde, sahen sie als ihr Eigentum an. Die Kuren galten als schwer zugänglich, und es dauerte eine Zeit, bis sie Fremden gegenüber aufgeschlossener wurden. Aber ihre unverwechselbare Physiognomie, der freundliche, offene Blick aus ihren blauen Augen und ihr diskreter Charme machte auf Chronisten einen ebenso sympathischen Eindruck wie ihre offensichtliche Lebenstüchtigkeit.

Kurische Fischerfrau auf dem Memeler Fischmarkt.

Es ist nicht so, dass die Kuren nur auf der Nehrung lebten, die für Feldwirtschaft nicht geeignet war. Der Großteil der „Zippel-Kuren“ genannten Bevölkerung lebte um das Haff herum und im Memel-Delta und betrieb Gemüseanbau. Mit ihren Timberkähnen brachten sie Zwiebeln, Kürbisse, Kohl, Bohnenkraut und Porree zum Königsberger Stadthafen, nach Labiau und Tilsit, um ihre Erzeugnisse dort direkt zu vermarkten. Großabnehmer für das Heu, das hochaufgetürmt auf den Kähnen transportiert wurde, war die Heeresverwaltung. Auch die Fischmärkte wurden selbstverständlich über die Wasserwege beschickt.


„On oppem Feschmarkt, denn jinge joa emmer bloß de Frues. Dat wurd ook von de Männer anerkannt, dat Jeld vom Verkoop opp em Markt, dat wär alles bi de Fescherfruu. On de meiste Frues, de moakte dat ook sehr goot. Eck häbb doa von de Männer nie Kloage jeheert. Joa, on de Frues, de fuhre denn meedweeks on vor alle Dinge sinnoawends met em Damper oppem Feschmarkt en Keenigsbarch. On dem Fesch hadde se en Kuppelkärw on Oalkärw all sorteert. Disse Kärw wäre sehr stabil, met em Krommholt oder Peed kunnst twee doavon goot droage. Doa jinge emmer so etwa e halwer Zentner ren. On de Oalkorb, de mott scheen dicht jeflochte sen, de Kuppelkärw, de kenne all loftjer senne. On denn wußte nu all emmer Bescheed. Wieveel Kärw nemmt se hiede met? On de dieerste on wertvollste Fesch, dat wär jos denn nu de Oal. De wurd en dree Sorte sorteert: groote, meddlere on kliene. On de andre Fesch, dat wär denn je noa Joahrestied Zander, Schlie, Quappe, Neenooge, Brasse on denn noch so Biefang – dat wurd denn joa ook alles so sorteert. On all opp em Damper hadde de Fruues ehre feste Plätze – de satte därperwies – on denn joa ook oppem Feschmarkt em Marktkeller. Doa wär so e Verkoopsdesch, so veer Meter hadde wi. On oak doa stunde de Feschfruues emmer so noa Därper jetrennt: doa wäre de Temmerbooder, de Peyser, de Heydekröger, de Nautzwinkler on so.“

Kurischer Keitelkahn

Kurische Fischerfamilie in Nidden

Die Kurischen Fischer bauten ihre Boote selbst. Die Bootstypen wurden nach der charakteristischen Art ihrer Netze benannt: Der Keitel (kidel) ist ein 10 bis 12 Meter langes trichterförmiges Netz, das von nur einem Boot, dem Keitelkahn gezogen wird. Keitelkähne konnten noch bei Windstärke 9 rentabel fischen, Kurrenkähne noch bei Windstärke 8, und selbst bei Orkan war eine Rückkehr noch möglich. Das Kurrennetz war ein dreiwandiges Netz von 240 bis 300 Meter Länge und musste von zwei gleichstarken Segelkähnen mit der Windrichtung geschleppt werden. Da diese Schiffe einer sehr starken Belastung ausgesetzt waren, musste die Stärke des Bauholzes ebenso dick sein wie die eines Keitelkahnes. Die Braddenkähne brauchten nicht so starkes Bauholz, fischten aber auch zu zweit mit einem 180 Meter langen Netz. Alle Haffboote hatten einen Tiefgang von nur 40 Zentimetern. Für die Nachtfischerei waren mehrere Netze in Gebrauch, auch gab es eine große Anzahl spezieller Netze, je nachdem auf welchen Fisch man aus war. Im nördlichen Kurischen Haff war die Reusenfischerei sehr hoch entwickelt.

Fischerei

Besteckfischerei
Eis- oder Klapperfischerei

Das Fischereirecht regelte sehr genau, wann wie mit welchem Garn zu fischen war. Wohl am faszinierendsten war die körperlich außerordentlich anstrengende Eisfischerei. Hier hatte jeder Fischwirt nur das Recht für halbes Wintergarn, so dass er gezwungen war, mit einem Kollegen zusammen zu arbeiten. Außerdem benötigte man sechs bis zehn Gehilfen, zwei Kastenschlitten, sogenannte Waschen, mit aufmontierten Winden sowie zahlreiches Gerät: Eisäxte, Eisstemmen, Eisstecher, diverse Gabeln, Stangenhaken und zwei zusammensteckbare Stangen von etwa 10 Zentimeter dicke und 50 Meter Länge. Die Arbeit begann vor Sonnenaufgang, und das Fangglück bestand darin, dass man auf Fischlager stieß, in denen sich die Fische träge versammelt hatten. Einzelne Fischer arbeiteten weniger aufwendig mit Stellnetzen, andere bevorzugten die Klapperfischerei, die vor dem 1. Weltkrieg eine Zeitlang verboten war, weil sich hier eine Menge nichtberuflicher Fischer betätigten.


Kurenwimpel

Nidden, Kurenkahn-Wimpel

Als Zeugnis ostpreußischer Volkskunst werden die aus Holz geschnitzen, gesägten und bunt bemalten Schiffswimpel an den Masten der Keitelkähne betrachtet. Litauische Künstler stellen sie heute wieder auf der Kurischen Nehrung zum Verkauf her. Aber so sehr alt ist diese Kunst noch gar nicht, denn sie wurde erst 1844 von der Regierung in Königsberg für 136 fischereiberechtigte Ortschaften der beiden preußischen Haffe verordnet:

  • „daß jeder Berechtigte bei Ausübung der Fischerei... auf der Spitze des Mastes eine wenigstens zwei Fuß lange und einen Fuß breite Flagge von derjenigen Farbe, welche der Ortschaft, woselbst er seinen Wohnsitz hat, von der Regierung erteilt worden ist, führen soll.“


Mit dieser Maßnahme sollte die Kontrolle der Fischerei erleichtert werden, weil immer wieder Fischer bei der unberechtigten Ausübung des Fischfangs angetroffen wurden. Wer ohne Ortsflagge fuhr, wurde mit 1 bis 10 Talern Strafe belegt, wer mit falscher Flagge segelte, zahlte zwischen 10 und 50 Talern. Die Orte der Ostküste des Kurischen Haffes fuhren mit rot-weißer Kennzeichnung, die Südküste hatte blau-gelb. Die Orte auf der Kurischen Nehrung führten die Farben schwarz-weiß. Die Ortskennzeichen waren also nur die Grundform, alles andere blieb der Fantasie, der Darstellung des eigenen Wohlstandes, der Selbstdarstellung oder auch nur der Darstellung eigener Wünsche und Träume überlassen. Letztlich hing auch alles vom handwerklichen Geschick eines jeden Fischers ab.


Auf der Spitze wurde oft die Wellengöttin Bangputtis dargestellt. Ebenso beliebt war der Schiffergott Bardoaitis oder Perdoitos, dessen eine Hand Richtung Himmel und dessen andere Hand Richtung Wasser zeigte. Daneben wurden alte heidnische geometrische Ornamente wie Sechsstern und Radkreuz übernommen. Aber unbekümmert daneben wurden auch Häuser, Kirchen, Schiffe, selbst Fahrräder eingefügt.


Sprache

Lehrer und Kantor Carl Neumann [1] musste die vakante Pfarrstelle in Sarkau versorgen

Die kurische Sprache hatte sich der lettischen angepasst, so dass das Kurische nur noch von wenigen Menschen gesprochen wurde. In Vermischung mit der prußischen Sprache der Schalauer südlich der Minge sowie der Nadrauer und Samländer bildete sich das Nehrungskurisch heraus. Ab dem 15. Jahrhundert lebten in den alten südkurischen Landschaften nun auch Deutsche, Prußen, Zemaiten und Litauer, so dass sich unter der ländlichen Bevölkerung eine Sprache herausbildete, die lettisch, prußisch und vor allem zemaitisch geprägt war, sich jedoch in vielen Begriffen vom Hochlitauischen unterschied. Ein wichtiges Bindeglied zur deutschen Kultur war die plattdeutsche Sprache.

Die Landbevölkerung war durchweg mehrsprachig, jedoch beherrschte sie selten die hochdeutsche Sprache, die Sprache des Rechts, der Schulen und der Gottesdienste. So stellte sich die Kirche darauf ein, indem sie je nach Ortschaft deutsch oder litauisch predigen ließ. Litauisch war ein Kompromiss, denn es war die Sprache, die letztlich alle verstanden und die die Prediger deshalb erlernen konnten, weil sich eine litauische Schriftsprache herausgebildet hatte, während die Sprachen der Kuren und Prußen langsam ausstarben. Trotzdem blieben Pfarrstellen oft vakant, weil sich kein Prediger fand. Schulmeister mit Kenntnis der litauischen oder kurischen Sprache wurden mit besonderen Zulagen gelockt. Es stand also schlecht um die deutsche Sprache. Das änderte sich erst, als Ende des 19. Jahrhundert auch bei der ländlichen Bevölkerung die geistigen Bedürfnisse stiegen und sich zudem der Tourismus entwickelte.

Sprachdenkmäler

Das Vaterunser

  • Teve mūses, kur tu es danguj,
  • Garbiets ir taue vards.
  • Lai nāke taue karelīste.
  • Taue vale nuoase duoade ka is dange, ta ir us zeme.
  • Mūse diene maize duoade mums šuoadiene.
  • Ir paduoade mums mūse kalte,
  • Ka ir mes paduoadame mūsams kaltejams.
  • Ir nevede mums is pajundijuma,
  • Islidze mums nu piktume.
  • Tad taue ir ta kareliste un ta sile un ta šviesibe
  • Nu amžu lidz amžu. Amen


Kuoa tie Laužes ede (Essgewohnheiten) von Richard Pietsch [3]

  • Kad tie zvejes par labes saguvumes juoa dauge āspelnij, tap pirages cepte, tas jau pussvete tap uoazgrieste un duoate. (Wenn die Fischer durch gute Fänge mehr verdienten, wurde auch Kuchen gebacken, der bereits am Sonnabend aufgeschnitten und gereicht wurde.)
  • Svedienes deve tad sāles rāpučes ar pečānes brādes, apvirtes gribes, tie rudina tap ielikte, va ieliktes bruklines lasete is kāpe meze. (Sonntags gab es dann Salzkartoffeln mit Schweinebraten, gedünstete Pilze, die im Herbst eingelegt worden waren, oder eingelegte Preiselbeeren aus dem Nehrungswald.)
  • Ieliktes melines, kracines va aviečes deve nu kāde reze va us svediene pa edine. (Eingemachte Blaubeeren, Brombeeren oder Himbeeren gab es nur zu besonderen Anlässen oder auf dem Sonntagspudding.)

Kuren heute

Ich werde manchmal gefragt, wo die Kuren denn geblieben sind. Nun, die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Sie haben sich mit den anderen Einwohnern des nördlichen Samlands, der Elchniederung und des Memellandes vermischt. Auch wenn sie bei Hermann Sudermann und Ernst Wichert „Litauer“ genannt werden, sind sie ebenso zu Ostpreußen geworden wie die Prußen und leben in vielen von uns fort.

(Beate Szillis-Kappelhoff)


Karte des lettisch-kurischen Sprachgebietes


Das lettische Sprachgebiet in Ostpreußen. 1649 heißt es: "Es halten sich auch ein gut Theil derselben in Preussen auff/ denn dieselben so am Curischen Habe von der Memel und ferner biß fast an Dantzig/ am Wasser wohnen/ sind Letten und gebrauchen sich der Lettischen Sprache"


Weblinks

Literatur

  • Ambrassat, August "Die Provinz Ostpreußen", Frankfurt/ Main 1912
  • Endzelin, J.: Über die Nationalität und Sprache der Kuren, in Finnisch-Ungarische Forschungen,XII, 1912
  • Gaerte, Wilhelm "Urgeschichte Ostpreussens", Königsberg 1929
  • Gimbutas, Marija "Die Balten", München-Berlin 1983
  • Keyser, Charlotte: Und immer neue Tage, Gräfe und Unzer, Königsberg, 1939?
  • Kurschat, Heinrich A.: Das Buch vom Memelland, Siebert Oldenburg 1968
  • Kwauka, Paul, Pietsch, Richard: Kurisches Wörterbuch, Verlag Ulrich Camen Berlin, 1977
  • Kwauka, Paul: Namen des Memellandes/ Unsere „fremdartigen“ Familiennamen, Archiv AdM, Oldenburg
  • Lepa, Gerhard (Hrsg) "Die Schalauer", Tolkemita-Texte Dieburg 1997
  • Mortensen, Hans und Gertrud "Die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts", Leipzig 1938
  • Mortensen, Hans und Gertrud: Kants väterliche Ahnen und ihre Umwelt, Rede von 1952 in Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg / Pr., Holzner- Verlag Kitzingen/ Main 1953 Bd. 3
  • Peteraitis, Vilius: Mažosios Lietuvos ir Tvankstos Vietovardžiai, Ju kilme ir reikšme, Vilnius 1997
  • Peteraitis, Vilius: Mažoji Lietuva ir Tvanksta (Lithuania Minor and Tvanksta) Vilnius 1992
  • Pietsch, Richard (künstlerischer Entwurf und Text): Bildkarte rund um das Kurische Haff, Heimat-Buchdienst Georg Banszerus, Höxter, Herstellung: Neue Stalling, Oldenburg
  • Pietsch, Richard: Deutsch-Kurisches Wörterbuch, Verlag Nordostdeutsches Kulturwerk Lüneburg 1991
  • Pietsch, Richard: Fischerleben auf der Kurischen Nehrung dargestellt in kurischer und deutscher Sprache, Verlag Ulrich Camen Berlin 1982
  • Salys, Anatanas: Schalauen, Lietuviu Enciklopedija, 1962, Boston, Band 27, S. 536-541, aus dem Litauischen in Tolkemita-Texte 52, Dieburg 1997
  • Salys, Anton: Die zemaitischen Mundarten, Teil 1: Geschichte des zemaitischen Sprachgebiets Tauta ir Zodis, Bd-VI Kaunas 1930 (= Diss.Leipzig 1930)
  • Schmid, Wolfgang P.: Das Nehrungskurische, ein sprachhistorischer Überblick
  • Strakauskaite, Nijole: Kuršiu Nerija – Europos Pašto Kelias, 2001
  • Tolksdorf, Ulrich "Fischerei und Fischerkultur in Ostpreußen", Heide/ Holstein 1991
  • Žadeikiene, Daiva, Krajinskas, Albertas: Kurenkahnwimpel, ISBN 9986-830-63-X

Einzelnachweise

  1. Kunstmann, Heinrich: Die Slaven, Ihr Name, ihre Wanderung nach Europa und die Anfänge der russischen Geschichte in historisch-onomastischer Sicht, Franz Steiner Verlag Stuttgart, 1996, S. 99f
  2. Schmid, Wolfgang P. (Hrg): Nehrungskurisch, Sprachhistorische und instrumentalphonetische Studien zu einem aussterbenden Dialekt, Stuttgart 1989, S. 22f