Handbuch der praktischen Genealogie/284

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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      Die Familiensage arbeitet nicht nur auf dem Gebiete der Zeit, indem sie Familien älter macht als sie sind, sondern auch räumlich, indem sie fremden, ausländischen Ursprung behauptet, wo sich vielmehr die Autochthonie der betreffenden Familie nachweisen läßt. Die noch heute im Rheinland blühende, aus dem Limburgischen stammende Familie Hoesch z. B. soll nach einer Legende aus der Schweiz stammen. Dieser Überlieferung muß aber „jede Art von Glaubwürdigkeit abgesprochen werden". „Die Nachricht über den Züricher Ursprung der Familie Hoesch ist weiter nichts als die ahnen- und wappensüchtige Erfindung eines frisch Geadelten."[1]

      Die Gefahr falscher Übertragung von einer Familie auf die andere liegt bei mündlicher Tradition nahe. Ein Beispiel bildet die Sage, daß die von Nostitz fünf rote Linksschrägbalken im silbernen Schilde seit der Schlacht auf dem Marchfelde besitzen. Hier soll nämlich nach vollbrachtem Kampfe Rudolf von Habsburg einem Nostitz die Hand gereicht haben. Ehe dieser mit seiner von Wunden blutigen Rechten dieselbe ergreifen konnte, habe er sie eilig über seinen weißen Waffenrock gezogen, und die fünf von seinen blutigen Fingern herrührenden roten Streifen, die sich auf diesem zeigten, blieben fortan das Wappen dieses Geschlechtes. Hier liegt eine Verwechslung mit dem Wappen der Familie v. Aiswein vor, die das letztgedachte Wappen führt. Die von Nostitz, auch die Freiherren und Grafen dieses Namens, führen vielmehr im blauen Schilde zwei rot und weiß abgeteilte, auswärts gekehrte Hörner.[2]

      Manche falsche Familientradition mag im 16. und 17. Jahrhundert durch die Informatoren der jungen Edelleute entstanden sein, die nach der Rückkehr von der üblichen Kavalier-Reise in den adeligen Häusern die Stelle der geistlichen Beistände, Schreibverständigen und Hausfreunde ausfüllten, in ihren Mußestunden die Geschichte der Familie bearbeiteten und das was sie nicht fanden, den Ursprung des Geschlechtes, dazu erfanden.[3]

      Daß es auch richtige Familienüberlieferungen gibt, selbst wenn die betreffende Familie darüber nichts Schriftliches in Händen hat, dafür diene als Beispiel[4] die dem ältesten irischen Adel angehörige, im Staatsdienst des großbritannischen Reiches und in der Literatur hochangesehene Familie Baron O'Byrn,[5] deren Angehörige seit 1724 im kurfürstlich bzw. königlich


  1. Justus Hashagen, Gesch. d. Familie Hoesch, I. Bd., unter Mitwirkung von Fritz Brüggemann, Köln 1911, S. 13.
  2. Die Gestaltung der Schildfigur derer von Nostitz bedarf noch genauer sphra-gistischer Festlegung. In der Literatur wird sie bald als Elefantenzähne, bald als Steinbock- oder Gemsenhörner, bald als Wildschweinszähne, bald als musikalische Zinnhörner angesprochen. Kneschke, Adelslex. VI, 533; v. Hefner, Sächs. Adel, S. 40. Vgl. auch die theologisch-mystische Betrachtungsweise des Wappens bei Leonh. Dav. Hermann in seinem geistlichen Wappenbrauch, „denen Christ-Edlen Gemütern, so solche (Wappen) führen, kürtzlich und zufällig entworfen" (Jauer 1724).
  3. H. v. P.-G., Geschichten schlesischer Familien, VJH, III, 1875, S. 32. Hier S. 46 ff. Literaturnachweise zur Gesch. des schles. Adels.
  4. Das Folgende aus d. Wissenschaftl. Beil. d. Leipziger Zeitung 1905, Nr. 104.
  5. Das O im Namen O'Byrn ist irische Familienpartikel. Es bestand in Irland die Sitte „de prendre le nom de quelque homme illustre parmi leurs ancêtres et qui servait à exprimer l'honneur d'en être descendu"; diese Sitte „s'introduisit sous Brien-Boicoimbe, monarque au onzième siècle, c'est ainsi que les ô Neills expriment leur origine de Nial-le Grand, monarque de l'ile au quatrième siècle" etc. (R. comte (O'Kelly d'Aghrim, Essai historique sur l'Irlande, Bruxelles 1637 p. 2). Wenn auch o (ô) vielfach den Ausdruck einer gewissen Würde verleiht, weil der Ahnherr und sein Geschlecht sehr angesehen waren („O is equivalent to, son of′; and denotes progeny, or is a character of dignity", Webster), so kommt dieses o (ô) auch bei Leuten aus dem Volke vor.