Schillenöhlen

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Wappen der Stadt Pillkallen

Schillenöhlen

1938 umbenannt in Flußfelde
Kreis Pillkallen, O s t p r e u ß e n
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Die Szeszuppe nördlich von Schillenöhlen


Hierarchie


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Die Szeszuppe bei Schillenöhlen, 1994


Allgemeine Informationen

Schillenöhlen war ein kleines ostpreußisches Bauerndorf im Landkreis Pillkallen. Die Ortschaft lag an der Szeszuppe, kurz nachdem der Fluß zwischen Klein Darguschen (Grenzheide) und Neu Skardupönen (Grenzwald) vollends ins Reichsgebiet eingetreten war. Von besonderer Bedeutung war die Weidewirtschaft. 1933 hatte das Dorf 138 Einwohner, 1939 waren es nur noch 129. Die Kinder besuchten die Schule im nördlich gelegenen Neu Skardupönen, die Poststelle war in Tulpeningken. Schillenöhlen gehörte zum Amtsbezirk Meißnersrode (Jucknaten). [1]

Andere Namen

  • Schillenöhlen (bis 15. Mai 1938)
  • Flußfelde (16. Mai 1938 bis 1945)
  • Litauisch: Šilėnėliai
  • Kein russischer Ortsname, da das Dorf bei den schweren Kämpfen am Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu ausgelöscht wurde.
Umgebungskarte von Schillenöhlen, 1925

Politische Einteilung / Zugehörigkeit

Die Flußwiesen an derSzeszuppe bei Schillenöhlen, 1936
  • Von 1818 bis 1945 war Schillenöhlen (ab 1938 Flußfelde) eine Gemeinde im Kreis Pillkallen (ab 1938 Kreis Schloßberg), Reg.-Bez. Gumbinnen, Ostpreußen
  • Ab 1945 ist Schillenöhlen eine untergegangene Landgemeinde im Rajon Krasnosnamensk (Oblast Kaliningrad), Rußland

Ortsbeschreibung

Die schlichten Holzhäuser des Dorfes Schillenöhlen lagen beiderseits der Landstraße, die von Schillehnen an der Memel über Neu Skardupönen nach Lasdehnen führte. Oberhalb der Flußwiesen gab es einst eine Windmühle. Im Osten wurde das Dorf durch den Forst Tulpeningken begrenzt. Das südlich gelegene Ostfurt (Woitekaten) wurde von den Russen nach Tulpeningken eingemeindet. Die Uferwiesen an der Szeszuppe waren sehr ertragreich. Jenseits der Szeszuppe, noch auf ostpreußischem Gebiet, lag der Forst Darguschen, der meist einfach “Heide” genannt wurde.

Bei Schillenöhlen machte die Szeszuppe einen Bogen nach Osten, wo sie bei der Mündung des Jotyos-Baches mit der von Norden kommenden Reichsgrenze zusammentraf. Heute ist die Gegend einsam und verlassen, und von Schillenöhlen ist abgesehen von ein paar Obstbäumen an der Landstraße so gut wie nichts mehr zu erkennen. [2]

Kirchliche Zugehörigkeit

An der Szeszuppe bei Schillenöhlen, 1936

Schillenöhlen gehörte zum Kirchspiel Lasdehnen. Zum Konfirmandenunterricht mußten die Jungen und Mädchen einen zehn Kilometer langen Fußmarsch zurücklegen. Manchmal wurden die Kinder auch mit einem Pferdefuhrwerk nach Lasdehnen gefahren.
Die sonntäglichen Kirchfahrten dauerten oft einen ganzen Tag, weil man sich nach dem Gottesdienst in einem der vielen Gasthöfe in Lasdehnen mit den Verwandten aus den umliegenden Dörfern traf. Wichtige Familienangelegenheiten wurden besprochen, und bei der Anbahnung von Eheschließungen wurde hart verhandelt. [2]

Geschichte

Die Bewohner von Schillenöhlen waren stark litauisch geprägt, was ihrer Loyalität zur preußischen Monarchie keinen Abbruch tat. Kaisers Geburtstag war neben den kirchlichen Feiertagen der größte Festtag im Ort. Im Ersten Weltkrieg wurde Schillenöhlen nicht beschädigt. Die Hofstellen wurden von russischen Soldaten geplündert, aber es gab kaum Sachschäden. In Neu Skardupönen brannte die Schule ab und in einiger Entfernung wurden zwei Bauernhöfe zerstört, doch Schillenöhlen kam einigermaßen glimpflich durch den Krieg. Ganz anders im Zweiten Weltkrieg: Bei den heftigen Kämpfen um Pillkallen im Winter 1944/45 wurde Schillenöhlen völlig vernichtet. Nur im weiter südlich gelegenen Ostfurt sind ein paar Häuser stehen geblieben. [3]

Prästationstabellen

In den Prästationstabellen für den Ort Schillenöhlen/Flußfelde (hier klicken)
und den Prästationstabellen für den Ort Kallnischken/Schillenöhlen/Flußfelde (hier klicken) befinden sich historische Einwohnerlisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Folgende Hinweise können dazu beitragen, diese Listen besser zu verstehen bzw. Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Hinweise zu den Prästationstabellen und Mühlenconsignationen, Erläuterungen von Prof. Erwin Spehr (hier klicken)

Dorfleben

Familie Radtke unter dem großen Birnbaum vor dem Haus in Schillenöhlen, 1916

Von Martha Grischkat

Bescheidene Zeiten um 1912

Meine Eltern Georg und Marie Radtke, die in Alt Lubönen keine eigene Bauerernstelle besaßen, hatten ein großes Ziel: der Erwerb eines eigenen Hofes. Sie arbeiteten fleißig und sparten, und endlich gelang es ihnen im Jahre 1912 in Schillenöhlen, Kreis Pillkallen, zehn Kilometer von Alt Lubönen entfernt, einen kleinen Bauernhof günstig zu erwerben. Wir Kinder waren froh, daß ein großer Obstgarten dazu gehörte mit Obstbäumen aller Art. Das schönste war ein dicker Birnbaum nahe beim Haus auf dem Hof, der mit seiner großen Krone Schatten spendete und dessen kleine Birnen (Kruschkes) uns im Spätsommer gut schmeckten. Im Sommer haben wir im Schatten dieses Baumes viele Mahlzeiten eingenommen. [4]

Doppelmord in einem kleinen Dorf

Ergänzung von Bernhard Waldmann
Der Erwerb des kleinen Bauernhofs im Jahre 1912 steht mit einer schaurigen Geschichte in Zusammenhang. Der Besitz in Schillenöhlen stand zum Verkauf an, weil dort ein Doppelmord passiert war.

Eine Magd hatte ein Auge auf den Besitzersohn geworfen, doch die Bäuerin verweigerte ihre Zustimmung, weil sie sich eine standesgemäße Schwiegertochter wünschte. Die skrupellose Magd verabreichte der Bäuerin Arsen in kleinen Mengen, welches in Ostpreußen leicht verfügbar war, und pflegte die Erkrankte dann fürsorglich.

Auf dem Krankenlager änderte die Frau ihre Meinung. “Du bist all’ so gut zu mir,” sagte sie zur Magd, “ich bin dir sehr dankbar. Deshalb kannst du meinen Sohn haben.” Die Magd glaubte sich am Ziel ihrer Wünsche und gab der Bäuerin kein Arsen mehr. Diese genas und widerrief ihre Einwilligung nach einiger Zeit.

Die Magd mischte wieder Gift unter das Essen der Bauersfrau. Diese erkrankte mit den gleichen Symptomen und gerührt von der erneuten Pflege, stimmte sie der Verbindung schweren Herzens zu. Nach den Erzählungen der Leute soll das eine Weile so hin und her gegangen sein, bis die Bäuerin eines Tages verstarb.

Nun schien der Magd nichts und niemand mehr im Wege zu stehen. Doch im Sommer kam Besuch von Verwandten aus Amerika, die einige Zeit zuvor dorthin ausgewandert waren. Unter den Besuchern war eine junge Frau, vielleicht eine Cousine des Hoferben. Bei der heiratswütigen Magd kam Eifersucht auf. Argwöhnisch befürchtete sie, daß ihr Auserwählter Gefallen an dem amerikanischen Mädchen finden könnte.

An einem heißen Tag, während des Dreschens soll sich die Tragödie ereignet haben, so erzählte man sich. Die Männer arbeiteten in Staub und Dreck und die junge Amerikanerin half fleißig mit. In einer Pause riefen die Landarbeiter nach Getränken, die von der Magd gebracht wurden. Dem amerikanischen Mädchen soll sie ein Glas Limonade gereicht haben, angeblich mit den Worten” “Hier, trink! Und es wird dir niemals mehr dürsten.”
Kurze Zeit später war die junge Besucherin tot.

Eine gerichtsmedizinische Untersuchung wurde angeordnet, und die Obduktion bestätigte Spuren von Arsen. Nun erinnerte man sich auch an den zu frühen Tod und die ungewöhnliche Leidensgeschichte der Bäuerin. Der Leichnam wurde ausgegraben, und die ostpreußische Fabulierkunst kannte keine Grenzen mehr. Die Leiche sei völlig unverwest gewesen, wie konserviert durch das Gift, so erzählte man sich von Haus zu Haus.

Jedenfalls wurde der Magd der Prozeß gemacht. Sie wurde des Doppelmordes für schuldig befunden und in Insterburg auf dem Schafott hingerichtet.
Die abergläubischen Ostpreußen grausten sich vor dem Ort des Schreckens, nur der beherzte Georg Radtke war nicht zimperlich und griff wegen des günstigen Kaufpreises zu und erwarb den Bauernhof. Das sollte nicht zu seinem Schaden sein, denn beim späteren Verkauf des Anwesens in der Inflationszeit spielte die erwähnte amerikanische Verwandtschaft der Vorbesitzer wiederum eine unverhoffte, aber für die Radtkefamilie vorteilhafte Rolle. Diese Geschichte wird auf der Juckstein - Seite erzählt. [5]

Hildegard Radtke, 1915

Eine kleine Schwester wird geboren

Weiter im Bericht der Martha Grischkat:
Am 10. November 1912 wurde meine jüngste Schwester geboren, und wir waren entzückt über das kleine Mädchen. Es lag in einer großen Wiege und wurde von uns gern geschaukelt. Es erhielt den Namen Hildegard. Das Kind war sehr musikalisch und lernte im Jahr darauf, noch bevor es sprechen konnte, schon die Melodien einiger Weihnachtslieder mitzusummen, die wir großen Schwestern ihm vorsangen. Wir liebten diese kleine Schwester sehr.

Zur Schule gingen wir nach Neu Skardupönen, und dort gefiel es mir sehr gut. Lehrer Schmidtke hatte eine besondere Art, den Unterricht interessant zu gestalten und Naturkunde war mein Lieblingsfach. Ich schrieb auch gute Aufsätze und war bald eine seiner besten Schülerinnen. Darauf war ich sehr stolz.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Dieses idyllische Leben wurde jäh unterbrochen. Ein Bote ging von Haus zu Haus und verkündete am 4. August 1914 den Ausbruch des Krieges. Ich kann mich noch gut an den Entsetzensschrei meiner Mutter erinnern, dem ein Tränenstrom folgte, denn mein Vater mußte sich schon am vierten Mobilmachungstag bei seinem Regiment in Gumbinnen melden.

Aber die russische Grenze war nahe, und ein plötzlicher Angriff feindlicher Truppen zerstörte unter anderem eine Bahnlinie. Mein Vater erreichte nur auf Umwegen Gumbinnen und kam verspätet an. Sein Regiment war schon ausgerückt, und er wurde vorläufig dem Landsturm zugeteilt und kam als Küstenwacht in das Ostseebad Rauschen auf der Halbinsel Samland. Er schrieb fleißig, bekam auch Urlaub und besuchte uns.

Familie Radtke aus Schillenöhlen, 1914

V.l.n.r.: Anna Radtke (Mutter von B. Waldmann), Marie Radtke (geb. Gudjons), davor auf dem Tisch Hildard (Hilly) Radtke, Georg Radtke, ganz rechts steht Martha Radtke (sie ist die Verfasserin des nebenstehenden Berichtes).

Einmal begleiteten wir alle den Vater bei seiner Rückfahrt bis nach Tilsit. Dort entstand dann das Familienfoto, das noch heute existiert. Die Russen richteten ihre Angriffe jetzt mehr nach Süden, also nach Masuren und ließen unsere Gegend in Ruhe. Nur Patrouillen kamen manchmal über die nahe Grenze. Und einmal war ein russischer Reiter auf wildem Pferd auch auf unserem Hof und fragte nach deutschen Soldaten. In Neu Skardupönen, nicht weit von unserer Schule, sahen wir mal zwei erschossene russische Solldaten liegen, die dann nahe beim Friedhof begraben wurden. Auf deutscher Seite gab es nur ein kleines Häuflein patrouillierender Radfahrer.

Flucht

Langsam wurde es an der Grenze unruhiger. Zwei deutsche Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt, und die Nachbarn sprachen immer öfter von Flucht. Meine Mutter war sehr ängstlich und entschloß sich, ihre beiden jüngsten Kinder und etwas Wäsche einige Kilometer weiter nach Westen zu bringen, nach Oschpruduppen zu einer Familie Flamming. Bei einer eventuellen Flucht wollte sie die beiden Kleinen, acht und zwei Jahre alt, dort abholen.

Es kam anders. Eines Tages tickten westlich von uns schon Maschinenengewehre. Und das Gerücht ging um, die Russen wären eingefallen. Nun war uns der Weg nach Westen versperrt, und meine Mutter beschloss, durch den Wald nach Norden zu fahren, also nach Alt Lubönen, unserem ehemaligen Heimatdorf.

In der Abenddämmerung spannten wir die Pferde vor den Kastenwagen, legten einige Lebensmittel und etwas Bettzeug hinein und fuhren zehn Kilometer durch den dunklen Wald. Wir übernachteten bei Bekannten in Alt Lubönen, und am nächsten Morgen fuhr meine Mutter ohne mich Richtung Oschpruduppen, um ihre beiden jüngsten Kinder zu holen. Wieder mußte sie durch einen Wald fahren, und am Ausgang des Waldes hatten die deutschen Truppen schon eine Schützenlinie gebildet und erwarteten den Angriff der Russen.

Meine Mutter sollte an der Weiterfahrt gehindert werden. Schließlich ließen die Soldaten meine weinende Mutter doch passieren, und sie kam zur Familie Flamming, die auch schon den Fluchtwagen bepackte. Meine Schwestern saßen bereits auf diesem, und meine Mutter nahm sie von dort auf ihren Wagen und fuhr unverzüglich nach Alt Lubönen zurück, wo ich wartete.

Unsere Verwandten Gawehns hatten indessen auch schon ihren Fluchtwagen beladen. Wir schlossen uns ihnen an und hinein ging es in das Dunkel des riesigen Neuluböner Forstes an dem trüben Herbstabend in Richtung Trappönen.

Wir sollten bei einer Familie Bohnacker übernachten, die in Krauleidszen einen Bauernhof besaß. Doch die waren auch schon auf der Flucht, nur Knechte und eine Magd trafen wir an. Dort bezogen wir ein behelfsmäßiges Nachtlager. Am nächsten Tag ging es weiter nach Westen auf der großen Straße, die nach Ragnit und weiter nach Tilsit führte. Dort gab es schon mehr Fluchtwagen, aber auch viele Soldaten, die nach Osten marschierten, dem Feind entgegen. Als die Pferde eine Pause nötig hatten, kehrten wir auf der Domäne Lobellen ein. Aber im Haus war kein Platz mehr. So wurde in einem Schafstall mit frischem Stroh ein großes Lager gemacht, und wir schliefen mit mehreren anderen Familien dort.

Der nächste Tag fand uns wieder auf der Weiterfahrt. Unser Ziel war der Gutshof Boleit in Karlsberg bei Ragnit. Unsere Verwandten Gawehns konnten dort bleiben und unsere Pferde auch. Meine Mutter aber und wir Kinder wurden von der Försterwitwe Frau Hofschläger in Ragnit aufgenommen. Ich habe die alte, weißhaarige Dame noch gut in Erinnerung und bewundere sie noch heute, weil sie uns beherbergte.

Ragnit hat mich sehr beeindruckt. Ich beobachtete das städtische Leben und die Geschäfte und machte auch allein weite Spaziergänge, bis hinaus zu den mit einer dünnen Schneedecke bedeckten Feldern. An das Weihnachtsfest kann ich mich gar nicht erinnern, es wird wohl sehr still verlaufen sein.

Groß war die Freude, als wir eines Abends Vater auf der Straße trafen. Er suchte unsere Unterkunft, denn Mutter hatte ihm geschrieben. Er fuhr mit Mutter den weiten Weg zu unserem Dorf Schillenöhlen, denn die Russen waren aufgehalten worden. Sie fanden zu Hause die Tiere von anderen Menschen wohlversorgt und haben sie dann wohl der Reichswehr übergeben. Unsere beste Milchkuh brachten sie nach Alt Lubönen zu Zagarus, die nicht flüchten wollten.

Martha Gudjons als Wirtschafterin
auf dem Gut Alt Marrin in Pommern, 1915

Flucht nach Pommern

Meine Mutter aber wollte zu ihrer Schwester Martha nach Alt Marrin (poln. Mierzyn) in Pommern. Diese hatte dort eine sehr gute Stelle als Wirtschafterin auf einem großen Gut, und die Baronin von Barnekow hatte sich bereit erklärt, uns bedauernswerte Flüchtlinge aufzunehmen. Mein Vater brachte uns mit der Bahn nach Alt Marrin und mußte dann wieder zu seiner Kompanie zurück.

Wir waren in einer Inspektorenwohnung untergebracht und wurden durch meine Tante mit Lebensmitteln versorgt. Es ging uns gut. Wir besuchten die Gutsschule, die uns aber nicht gefiel Der Lehrer war alt und die Kinder ungezogen. Von der Ostfront kamen beruhigende Nachrichten. Tante Martha schickte uns zweimal mit Arbeitskolleginnen zum Ostseebad Kolberg. Dort waren wir zum ersten Mal in unserem Leben in einer Konditorei und in einem Kino. Sehr beeindruckt hat uns die Ostsee mit ihren schaumgekrönten Wellen und dem weißen Sandstrand. Alle Menschen waren freundlich zu uns Flüchtlingskindern.

Meine Mutter korrespondierte fleißig mit unserem Vater und als der Frühling kam, verabredete sie sich mit ihm, nach der Heimat zu schauen. Er bekam Urlaub und sie trafen sich in Ragnit und schlugen sich dann mühsam nach Schillenöhlen zu unserem Gehöft durch. Im Haus war alles voll Stroh, denn dort hatten Soldaten genächtigt. Voller Eifer machten meine Eltern sich daran, alles wieder in Ordnung zu bringen. Mit Hilfe von Nachbarn und Verwandten gelang es meinen Eltern sogar, die Frühjahrsbestellung der Felder und Gärten zu besorgen.

Rückkehr nach Schillenöhlen

Etwa drei Wochen wirkten meine Eltern, dann mußte mein Vater wieder zum Militär und Mutter kam nach Pommern, um uns zu holen. Es war eine mühsame Reise, vierter Klasse mit Bummelzügen. Zu Hause fanden wir dann unsere liebe Milchkuh vor und auch ihr Kälbchen, das im Winter in Alt Lubönen geboren war. Vater bekam noch einmal Urlaub und ging über die Grenze nach Litauen um einzukaufen. Nach und nach fanden sich eine rotbunte Kuh, ein altes Pferd, eine Glucke mit Küken, Gänse und Hühner auf unserem Hof ein. Auch die Nachbarn kauften ‘drüben’, was ihnen fehlte.

Auch unser Lehrer war Soldat, also für uns unerreichbar. Aber sein Vater, der Lehrer in einem Dorf jenseits der Szszuppe war, kam zweimal in der Woche zu uns, um uns das Nötigste beizubringen. Unser schönes neues Schulhaus in Neu Skardupönen war von den Russen niedergebrannt. So saßen wir unweit der Ruine am Waldrand im Gras und hielten die Schiefertafeln im Arm und übten uns im Schreiben. Glücklicherweise war das Wetter meist schön. Bei einem Regenschauer krochen wir unter die Tannen. Im Herbst stellte der Bürgermeister von Neu Skardupönen, mit Namen Ludszuweit, der Schule sein Wohnzimmer zur Verfügung. Erst saßen wir auf primitiven Holzbänken, aber nach und nach bekamen wir richtige Bänke und auch Lehrer, die eben ihre Ausbildung vollendet hatten. Der erste Lehrer hieß Kniest, sein Nachfolger Buchholz.

Das bäuerliche Leben geht weiter

In der freien Zeit mußten wir großen Mädchen natürlich bei der Arbeit helfen, denn unsere Mutter konnte nicht alles allein schaffen. Meine Schwester Anna war im Haus angestellt. Sie lernte schon früh, sich in der Küche zu betätigen und auch mit der Nähmaschine umzugehen. Sie mußte vor allem unsere kleine Schwester Hildchen beaufsichtigen. Wir hatten zwei Teiche als Wasserbehälter für das Vieh. Wie leicht konnte die neugierige Kleine hineinfallen.

Ich war im Außendienst tätig, mußte Pferde und Kühe füttern oder auf die Weide bringen, melken helfen und mich auch um das Geflügel kümmern, denn wir hielten Gänse, der Federn wegen, weil ein Teil der Betten verloren gegangen war. Ich mußte auch fast alle Fahrten mit Pferd und Wagen, zum Beispiel zur Mühle, erledigen und wurde von den Nachbarn oft scherzend ‘Kutscher' genannt. Vater hatte während seines Urlaubs endlich auch ein junges Pferd, einen zweijährigen Hengst erwerben können. Der wurde mein besonderer Liebling, aber auf meinen Fahrten mußte ich sehr aufpassen. Er ließ sich nicht gern überholen, sondern fing dann zu galoppieren an und zeigte auch sonst allerlei Besonderheiten.

Bald versuchte ich, auf dem jungen Hengst zu reiten. Der erste Versuch endete mit einem Sturz. Glücklicherweise hatte ich mir nur wenig weh getan und konnte dem Hengst nachhinken. Er war sofort zum heimatlichen Hof gelaufen. Spätere Reitversuche endeten besser. Ich lernte, mich auf dem Rücken des Pferdes zu halten, auch bei Galopp oder bei einem Sprung über einen Graben. Einmal ritt ich mit dem Braunen auch in das tiefe Wasser des Flusses, wo er schwimmen mußte. Das machte viel Spaß. Ein Schulkamerad war mit einem Soldatenpferd dabei. Für meine Reitkünste hatte ich keinen Sattel.

Sehr gut in Erinnerung habe ich einen Ritt durch die Dunkelheit des Herbstabends zum Nachbardorf. Damals waren Fahrräder selten und Pferde eine Notwendigkeit. Das Postamt war weit in Tulpeningken, und nach dort mußten wir doch auch die Pakete und Päckchen bringen, die wir nach Gelnhausen schickten oder an unseren Vater, der bei Libau an der Ostfront eingesetzt war. Später kam er an die Westfront, und wir mußten uns weiter um ihn sorgen.

Höhepunkt unseres eintönigen Lebens war der Besuch von Onkel Hans Gudjons. Wegen seiner schlechten Gesundheit war er nicht an der Front, sondern leitete eine Poststelle im besetzten Rußland, oder genauer gesagt im besetzten Litauen, die sich in Schaulen befand.
Hinweis von Bernhard Waldmann: Die Lebenserinnerungen des Hans Gudjons kann man auf der Alt Lubönen-Seite nachlesen.

Georg Radtke als Soldat, 1915

Auch zu meiner Konfirmation am 8. September 1918 konnte Onkel Hans Gudjons Urlaub erhalten, Es war eine schlichte Feier. Vorher waren wir ein Jahr lang nach Lasdehnen zur Konfirmandenstunde gegangen. Das war ein Weg von zehn Kilometern und zu Fuß ganz schön anstrengend, denn nicht immer konnte uns meine Mutter Pferd und Wagen zur Verfügung stellen. Manchmal nahmen uns Nachbarn mit. Ich bin gern zum Konfirmandenunterricht gegangen, denn Pfarrer Wittke war mir sympathisch. Er hatte mich schon in der Kirche zu Schmalleningken getauft, im Jahre 1904 war er dort Pfarrer.

Kriegsende

Im Oktober 1918 kam mein Vater auf Urlaub. Im November erfolgte der Zusammenbruch und der Krieg war zu Ende. Mein Vater mußte nicht mehr zu seinem Regiment und konnte gleich zu Hause bleiben. Darüber waren wir sehr froh. Später wurde er zur Bewachung der Grenze abkommandiert, als sogenannter Feldgendarm. Er konnte erst zu Hause wohnen und wurde später in ein Dorf jenseits der Szeszuppe eingesetzt. Zu unserer Entlastung stellte er einen Knecht ein.

Manchmal hatten wir auch Einquartierung. Soldaten aus den Lazaretten sollten ihren Genesungsurlaub auf dem Lande verbringen. In den Städten waren die Lebensmittel weiterhin knapp. Ein Soldat hatte seine Mandoline mit und spielte und sang, und das war für uns eine angenehme Abwechslung. Daraufhin bekam meine Schwester Anna eine Mandoline geschenkt, und wir brachten uns selbst einige Lieder bei. Das machte uns viel Spaß.

Die Zeiten besserten sich langsam und die Konfirmation meiner Schwester im Herbst 1920 konnten wir schon üppiger feiern. Tante Mariechen Gawehns, die Cousine meiner Mutter aus Neu Lubönen hatte ihr ein schönes Kleid genäht und auch bestickt. Mir nähte sie Kleider aus Röcken meiner Mutter. Aus Vaters Soldatenmantel wurde für mich ein feldgrauer Mantel geschneidert. Die Eltern bauten Flachs an, und Mutter spann Flachs und Wolle, um daraus Stoffe zu weben. Meine Schwester und ich lernten auch spinnen.
So sah unser damaliges Leben in Schillenöhlen aus. Wir lebten in bescheidenen Verhältnissen, waren aber glücklich und zufrieden. [6]



Fotoalbum Szeszuppe

K a r t e n

Schillenöhlen (Flußfelde) auf dem Messtischblatt Pillkallen,
Stand 1938, mit nachträglich eingefügten russischen Ortsnamen
Kartenausschnitt von Schillenöhlen / Flußfelde, aus Großblatt Nr. 6 Schloßberg 1939
Prußische Stammesgebiete
Lagerkarte einer Flüchtlingsfamilie aus Memelwalde,
die Mutter war gebürtig aus Flussfelde, 1948



Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis

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Quellen

  1. Quelle: Deutsche Verwaltungsgeschichte Ostpreußen, Kreis Pillkallen
  2. 2,0 2,1 Text: Bernhard Waldmann, nach eigenem Kenntnisstand
  3. Text: Bernhard Waldmann, nach eigenem Kenntnisstand
  4. Lebenserinnerungen der Martha Grischkat, geb. Radtke aus Schillenöhlen, niedergeschrieben im Jahr 1988
  5. Text: Bernhard Waldmann, nach Berichten seiner Mutter Anna Waldmann, geb. Radtke
  6. Quelle: Lebenserinnerungen der Martha Grischkat, geb. Radtke, aus Schillenöhlen