Ludwig Carl Wilhelm von Baumbach-Kirchheim – Erinnerungen aus dem Leben eines hochbetagten Mannes (1799 – 1883)/E-Book

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Ludwig Carl Wilhelm von Baumbach-Kirchheim – Erinnerungen aus dem Leben eines hochbetagten Mannes (1799 – 1883)
Autor(en):Ludwig Carl Wilhelm von Baumbach-Kirchheim
Herausgeber:Wilhelm Steifensand
Titel:Erinnerungen aus dem Leben eines hochbetagten Mannes (1799–1883)
Ort:o. O.
Jahr:o. J.
Umfang: 39 Seiten
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Wappen von Baumbach


Ludwig Carl Wilhelm von Baumbach-Kirchheim

geb. 22.04.1799 - gest. 26.01.1883



Erinnerungen aus dem Leben

eines hochbetagten Mannes


Zusammengestellt von Wilhelm Steifensand


Durch den Eingang des hiesigen Deutschen Konsulates, welchem ich vorstand, der gewohnten geistigen Beschäftigung beraubt, will ich diese für kurze Zeit dadurch zu ersetzen suchen, in dem ich die Erinnerungen aus meinem viel bewegten Leben hier aufzeichne, soweit dies mein stets schlechter werdendes Gedächtnis gestattet, nachdem ich mein 79-Jähriges Lebensalter angetreten. Vielleicht, daß dieselben einiges Interesse für die Familie und spätere Nachkommen haben, vielleicht schon für meine Kinder, welche[GWR 1] bereits 1849 mit mir, noch in Kindesalter Deutschland verließen und daher die Familienverhältnisse im alten Vaterlande nur unvollständig kennen, worauf ich hier noch in anderer Richtung hin eingehen werde. Daneben habe ich für dieselben seit meiner Einwanderung hier ein Tagebuch geschrieben.

Geboren wurde ich, Ludwig von Baumbach, am 22. April 1799 zu Reichensachsen, unweit Eschwege, im ehemaligen Kurhessen, jetzt preußische Provinz Hessen-Nassau. Die zu der kurhessischen Ritterschaft gehörige Familie von Baumbach gehört den ältesten adligen Geschlechtern an. Über deren, wenigstens angeblichen Ursprung ist nur wenig Näheres bekannt, da ich mich, aufrichtig gesagt, wenig darum kümmerte; doch soll das Familienarchiv in Nentershausen darüber Nachrichten enthalten, welche, soviel mir bekannt, in neuerer Zeit auch andere Familienglieder zu sammeln bemüht waren und aufzeichneten. Nur soviel will ich hier bemerken, daß die Familie von Baumbach ihren Stammsitz in dem sogenannten Schloß Tannenberg bei Nentershausen hatte, welches noch jetzt als unschöne Ruine teilweise existiert, und von welchem die sämtlichen zahlreichen Familienzweige ausgingen, welche noch jetzt nicht allein in Hessen ihre Wohnsitze haben, sondern sich auch nach anderen deutschen Staaten ausbreiteten.

Meinen Großvater habe ich nie gekannt, weiß sonst nichts Näheres von demselben, er muß indessen ein tüchtiger Mann gewesen sein, da er seine sämtlichen Söhne, meinen Vater und dessen Brüder so erzog, daß sie sämtlich höhere Stellungen einnahmen und der allgemeinen Achtung genossen. Meiner Großmutter hingegen erinnere ich mich noch sehr gut aus frühester Kindheit. Sie war eine geborene von Boineburg, eine Erbtochter, da der Familienzweig, welchem sie angehörte, ausstarb, daher das demselben gehörige Weiberlehn und Allodium ihr zufiel. Dieselbe wohnte als Witwe zu Nentershausen in dem Hause rechts von der Einfahrt, welches zuletzt Vetter Reinhard bewohnte. Ich erinnere mich ihrer als einer sehr alten freundlichen Frau, welche gegen ihre Enkel stets sehr freundlich und gütig war.

Ich erwähnte bereits oben, daß meine Großmutter eine Erbtochter war, also nach erfolgtem

Aussterben des Mannesstammes jenes Boineburg'schen Familienzweiges das Vermögen auf sie und, soviel ich zu erinnern glaube, die Nachkommen einer Schwester, die von Eschwege überging. Hier will ich gleich der Streitigkeiten über diesen Erbanfall erwähnen, welches seiner Zeit großes Aufsehen erregten. Von unserer Familie und auch wohl der von Eschwege wurde der gesamte Nachlaß als Weiberlehn oder Allodium in Anspruch genommen, wogegen der damalige, für seinen Geiz bekannte Kurfürst Wilhelm I.[GWR 2] – vom Volk nur als der mit dem Knoten bezeichnete, da er eine ungeheure Balggeschwulst hinter einem Ohr hatte – den größten Teil als Manneslehn beanspruchte. Es entstand hieraus ein Prozeß, den die Familie in erster Instanz gewann, und infolge davon sämtliche zu diesem Nachlaß gehörige Güter, auch Reichensachsen, in Besitz nahm, worauf auch mein Vater, damaliger holländischer Major a. D. dahinzog und ich daselbst, wie oben erwähnt geboren wurde. Der Fiskus indessen appellierte gegen diesen Bescheid an das Appellationsgericht, welches ein gegenteiliges Urteil erließ, den größten Teil des Nachlasses als dem Staat heimgefallenes Manneslehn erklärend, so daß unsere Familie nur der als Weiberlehn oder Allodium erklärte Teil verblieb, namentlich das Gut Hoheneiche. Von meinem Vater und meinen Onkels habe ich häufig diesen Erbbescheid als ungerecht erklären hören, namentlich habe der Kurfürst eine Stimmenmehrheit nur durch Einberufung von ihm unbedingt ergebenen Mitgliedern des Oberappellationsgerichtes erlangt, welche, als Gesandte und dergleichen abwesend, allein zu diesem Zweck dieser Entscheidung zeitweise einberufen wurden. Später indessen habe ich von meinen Brüdern Moritz und Ernst, welche beide Mitglieder des Oberappellationsgerichtes später waren und die Akten einzusehen Gelegenheit hatten, sagen hören, daß der Fall mindestens zweifelhaft gewesen sei. Infolge jener Entscheidung sah sich mein Vater gezwungen, Reichensachsen zu verlassen und mit Familie nach Kirchheim überzuziehen.

Ich kehre nun zu meinen Erinnerungen zurück. Ehe ich speziell auf meine Person übergehe, will ich versuchen, die Lebensschicksale meines Vaters, meiner Onkels, Brüder und flüchtiger meiner Nentershäuser Vettern – welche wir uns gegenseitig nur als Brüder betrachteten – kurz zu schildern, soweit mein schwaches Gedächtnis reicht und dann erst speziell auf meinen Lebenslauf überzugehen, soweit derselbe nicht schon im Verlauf dieser Schilderungen eine flüchtige Berührung mit sich bringt. Ich werde die entfernteren Verwandten voranstellen, dann zu meinem Vater und dessen Descendanz übergehen. Hier will ich indessen bemerken, daß die sämtlichen Familiengüter ungeteilt nicht allein im Besitz meines Vaters und meiner Onkels blieben, sondern auch nach deren Tode noch eine längere Zeit in solchem gemeinschaftlichem Besitz von deren Kindern aus dem Hause Nentershausen und von Kirchheim. Einer der Mitglieder übernahm die spezielle Administration der Güter, deren Erträge dann ausgeglichen und pro parte unter die Beteiligten verteilt wurden. Dazu gehörte natürlich das gegenseitige, vollständige Vertrauen und Eintracht. Solche bestanden aber in der Tat auch unter den Mitgliedern der ältesten Generation sowohl wie auch unter denen der jüngeren, so daß ich mir, solange ich teil an der Gutsadministration nahm, nicht einer einzigen ernstlichen Differenz oder Streitpunktes entsinnen kann, welche diese Eintracht hätte stören können. Ein gewiß seltener Fall in einer nur aus Brüdern bestehenden Familie, wo es sich um Mein und Dein handelt, noch viel seltener aber, wie eine solche Gemeinschaft auch

unter Vettern stattfindet. Dieser seltenen Eintracht allein hat aber auch die Familie nur den jetzigen guten Zustand ihrer Güter zu verdanken, allerdings vorzugsweise dem Einflusse und der stets bereiten materiellen Hilfe des edlen Onkels Ernst, worauf ich später komme. Ich bin zwar jetzt aus der Gütergemeinschaft gänzlich geschieden, nichts desto weniger nehme ich auch in weiter Ferne den innigsten Anteil daran und hoffe und spreche hier den dringenden Wunsch aus, daß eine solche Eintracht auch in der jetzigen Generation der Besitzer und aller späteren Generationen fortbestehen möge.

Die Kinder meines Großvaters aus der Ehe mit Luise von Boineburg waren, ich weiß nicht ob andere vielleicht schon in der Kindheit starben – Friedrich, nur Fritz genannt, Ludwig, Wilhelm – mein Vater – und Ernst, nebst einer Tochter verheiratet an den bekannten Freiherrn von Knigge. Onkel Fritz war ritterschaftlicher Obereinnehmer, verheiratet mit Marianne von Veschuner, aus welcher Ehe jedoch keine Kinder hervorgingen; derselbe bewohnte, soweit ich mich zu erinnern vermag, das Haus, worin wie bemerkt meine Großmutter ihren Witwensitz hatte. Seine Frau starb vor ihm und er erst im hohen Alter ohne jeden Todeskampf. Derselbe war ein skrupulös ehrlicher Mann, stets sehr freundlich gegen alle seine Nächsten, aber sehr schwerhörig, zuletzt beinahe taub.

Ludwig von Baumbach, Landrat, war verehelicht mit Christiane von Wangenheim, einer schönen Frau. In dieser Ehe wurden geboren: Fritz, Wilhelm, Ernst, Reinhard und Carl, die Töchter Sophie, Luise, Caroline, Julie und Charlotte. Onkel Ludwig genoß die allgemeinste Achtung, hatte während seiner aktiven Stellung als Landrat großen Einfluß und machte sich in dieser Stellung um das Gemeinwohl sehr verdient. Ich selbst kann mich seiner nur als kränklich (an der Seite vermerkt: "Gicht!") und dadurch oft in gereizter Stimmung erinnern; sein Übel wurde zuletzt zu Wassersucht und war sein Ende mit großen Qualen verknüpft.

Wilhelm von Baumbach, mein Vater, war zweimal verheiratet, zuerst – irre ich mich nicht – mit Caroline von Schenck aus dem Hause Schweinsberg. In dieser Ehe wurden geboren: Moritz, Caroline und Fritz. Zum zweiten Mal heiratete mein Vater Amalie Treusch von Buttlar aus dem Hause Altefeld. In dieser Ehe wurden geboren: Ludwig (ich), Ernst und Hermann, die Töchter Marie, Mathilde, Auguste. Mein Vater stand in holländischen Diensten als Major und Adjutant des Landgrafen Friedrich von Hessen, Gouverneur von Maastricht. Nach Eroberung dieser Festung durch die Franzosen zog er sich auf die Familiengüter in Kurhessen zurück, zuletzt nach Kirchheim, wo meine sämtlichen jüngeren Geschwister geboren sind.

Der jüngste Bruder Ernst von Baumbach war Deutschordenskomtur und Gouverneur des Erbgroßherzogs von Hessen-Darmstadt, diente auch als Freiwilliger in der Preußischen Armee in den 1790er Jahren mit Auszeichnung, namentlich vor Mainz, und wurde ihm der Orden Pour le merite verliehen, welchen zu tragen ihn jedoch seine Eigenschaft als deutscher Ritter hinderte. Nach erfolgter Aufhebung dieses Ordens erhielt er Pensionen von verschiedenen Staaten, welche ihn wohl instand gesetzt hätten, in gewohnter Weise in großen Städten zu leben. Er tat dies jedoch nicht, sondern lebte

zurückgezogen in Nentershausen, der Witwe von Onkel Ludwig in der Erziehung ihrer zahlreichen Kinder, und diese selbst, nachdem sie zwar selbständig geworden, sich aber keines ausreichenden Gehaltes neben eigenem Einkommen erfreuten, unterstützend. In gleicher Weise sorgte er auch nach dem Tode meines Vaters für dessen Kinder, namentlich auch für mich, nachdem ich aus dem Staatsdienst geschieden, so daß es mir möglich wurde, die ersten Jahre nach diesem Tode leben zu können, ohne aus den Gütern etwas zu beziehen, in gleicher Weise aber auch für meine jüngeren Brüder, so daß ich mich, nachdem mir die Administration der Güter übertragen, in den Stand gesetzt sah, die von unserem guten Vater nachgelassenen Schulden nach und nach abzutragen.

Traf irgendein Unfall ein Mitglied der Familie, so war sogleich die Hilfe dieses herrlichen Mannes unversehens da. Er führte sehr genau Buch über Einnahme und Ausgabe, und doch fand jeden Monat ein nicht unbedeutender Überschuß in der ersteren statt, welches sich jedoch nicht in der Kasse fand. Mehrere Male erklärte mir der gute Onkel, dies rühre von Unterstützungen her, welche er doch nie buchte. Oft fuhr er bettelnde Arme, von deren Würdigkeit er nicht überzeugt war, polternd an-, dies schreckte sie jedoch nicht ab, sondern sie hielten aus und waren einer Gabe, oft in nicht geringem Betrage, sicher. Onkel Ernst war ein wahrhaft edler Mann, wie ich einen zweiten nicht kannte. Dieses Urteil werden alle die wenigen Familienmitglieder bestätigen, welche jetzt noch leben und das Glück hatten, den edlen Mann persönlich zu kennen. Aber auch die jüngsten Mitglieder der Familie haben Ursache, ihm innigst zu danken, denn allein der gute Onkel ermöglichte es durch Rat und Tat, die Familiengüter in den Zustand zu versetzen, in welchem sich dieselben jetzt noch befinden. Hätte derselbe nicht so, wie geschehen, gehandelt, so wären die Güter jetzt, meiner vollen Überzeugung nach, tief verschuldet. Daher möge dessen Andenken unvergessen und gesegnet bleiben, solange auch noch in spätester Zukunft ein Familienmitglied lebt.

Ich wende mich nun zur kurzen Schilderung des Lebenslaufes der männlichen Nachkommen des Onkels Ludwig, von seinen Brüdern[GWR 3] "Lutzchen" genannt. Sie erhielten ihre Erziehung im elterlichen Hause, die drei ältesten unter einem Hofmeister "Lohhof", einem großen stattlichen Mann von echtem Magistergepräge, dessen sehr tiefer Stimme ich, der ich teilweise teil am Unterricht nahm, mich noch erinnere, bei den jüngeren, auch mir, half die Gouvernante der Töchter "Mamsell Edelmann" nach. Fritz ging bald auf eine damalige Forstschule Zillbach und widmetet sich mit dem größten Erfolg dem Forstfach. 1813 trat er bei Beginn des Krieges gegen Napoleon als Freiwilliger ein und machte als Adjutant des gelernten Hessischen Jägercorps die Kampagne von 1814 mit. Nach deren Ende trat er in den Forstdienst zurück, worin er vorrückte, zuletzt Oberforstmeister wurde, als welcher er leider zu früh starb, nachdem er bereits viel Gutes in seinem Fache bewirkt hatte und unfehlbar noch viel mehr haben würde, hätte ihm Gott längeres Leben geschenkt. Er genoß der allgemeinen Achtung und die Anhänglichkeit und Liebe seiner Untergebenen. Ihm verdanke ich viel, als ich 1823 die Administration der Güter übernahm, wobei ich mich seines bewährten Rates in der damals ziemlich schwierigen Bewirtschaftung des Frielinger Waldes erfreute. Noch erinnere ich mich deutlich seines Ausspruches: "Ziehe nur hölzernes Holz heran, welcher Art es auch sei." Fritz hinterließ vier Kinder aus seiner Ehe mit Sophie von Hessberg

– von uns allen nach seinem Tode Schwägerin Sophie genannt – zwei Söhne, Ludwig, jetzt preußischer Landforstmeister zu Berlin, ein sehr tüchtiger Forstmann und Fritz, königlich preußischer Major zu Ehrenbreitstein als Repräsentanten dieses Zweiges der Nentershauser Linie und zwei Töchter, wovon die älteste Luise noch in Kassel jetzt lebt.

Der zweite Sohn Wilhelm widmete sich dem Finanzfach und hatte gleichfalls, soviel ich mich erinnere, schon unter der westfälischen Regierung eine jedoch unbesoldete Staatsstelle inne. 1814 trat er ebenfalls als Freiwilliger ein in das damals errichtete Freiwillige Jägerbataillon und machte als Oberjäger den 1814er Feldzug gegen Napoleon mit. Nach dessen Beendigung wurde er in der Finanzkammer angestellt, blieb auch in solcher im Dienste vorrückend, bis er als Geheimer Oberfinanzrat als Junggeselle plötzlich am Schlagfluß starb. Derselbe war der beste, gutmütigste Mensch, den ich je kennenlernte. Er sorgte mit größter Hingebung und Treue als Beistand der Schwägerin Sophie in der Administration des Guterbteils von deren Söhnen, fand indessen häufig nicht die ihm gebührende Anerkennung, da er darin eigenmächtig im Bewußtsein, das Beste zu tun, verfuhr ohne nähere Mitteilung über die Art und Weise an die darüber eifersüchtige Schwägerin Sophie-, wie überhaupt in dieser Beziehung nicht ganz leicht mit ihm auszukommen war, wie auch ich nicht selten erfuhr bei Ausgleichung der jährlichen Rechnungsresultate bei Administration der damals noch unter beiden Linien gemeinschaftlichen Güter, wobei Wilhelm nach Onkel Ernst's Tode die Nentershauser Linie vertrat, wo seine Ansichten als die allein richtigen dienen sollten. Er hatte überhaupt ganz die Manieren eines Hagestolzes, wobei '~ ihm aber jeder wegen seiner außerordentlichen Gutmütigkeit nachgab. Ebenso wurde derselbe wie so viele Junggesellen vor seinem äußerst widerlichen, langjährigen Diener Joseph dominiert. Auch manche komische Szenen kamen vor. So erinnere ich mich, daß, als wir beide längere Jahre hin durch Mitglieder der Hessischen Ständeversammlung und nicht selten verschiedener politischer Anschauungen waren, ich in meinem Sitz aufstand und redete, er, als ich an Stellen kam, welche ihm nicht zusagten, aufstand, hinter mich trat und versuchte, mich an den Rockschößen auf meinen Sitz zurückzuziehen.

Der dritte Sohn, Ernst, widmete sich schon früh dem Militärdienste, er war, wenn ich nicht irre, schon unter Kurfürst Wilhelm I. vor 1806 Fahnenjunker, trat indessen nach Errichtung des Königreiches Westfalen in württembergische Dienste und zeichnete sich schon 1809 in der Kampagne gegen Österreich aus, nicht minder in allen späteren Feldzügen teils für, teils später gegen Napoleon. Eine Zeitlang war derselbe Adjutant des Königs Wilhelm von Württemberg, und wurde zuletzt Generalleutnant, endlich auf sein Ansuchen als solcher pensioniert und zog nach Nentershausen. In seiner Ehe mit Luise van der Hoop, welche ihm ein ansehnliches Vermögen zubrachte, wurden ein Sohn Ludwig, jetzt in Nentershausen wohnhaft und zwei Töchter geboren. Auch mein guter Vetter Ernst starb in den besten Jahren an plötzlichem Schlagfluß.

Der vierte Sohn Reinhard trat in den hessischen Militärdienst, aber 1851 als Rittmeister aus solchem infolge des damaligen Verfassungsstreites mit dem Kurfürsten, da er seinen auf die Verfassung geleisteten Eid nicht brechen wollte. Nach der Einverleibung Kurhessens in Preußen 1866 verlieh die Gerechtigkeitsliebe des Kaisers

demselben eine Pension. Er widmete sich der Administration des Güteranteils der Nentershauser Linie, nachdem eine Güterteilung unter beide Linien stattgefunden hatte. Auch der gute Reinhard starb gleich seinen älteren Brüdern noch im kräftigen Mannesalter an plötzlichen Schlagfluß, welcher ihm auf dem Heimritt eines Ausfluges nach Sontra ereilte. Aus seiner Ehe ging kein Sohn, nur eine Tochter hervor.

Der fünfte Sohn Carl trat wie sein Bruder in württembergische Militärdienste, avancierte zum Generalleutnant, bat jedoch um Pension nach stattgefundener Militärkonvention mit Preußen. Derselbe lebt noch in Baden, geht nur im Sommer einige Monate nach Nentershausen, wo nach Reinhard's Tod die Güteradministration auf ihn überging. Aus seiner Ehe wurden soviel ich weiß zwei Söhne geboren.

Ich kehre nunmehr zu meinem guten unvergeßlichen Vater zurück. In Maastricht, wo derselbe wie schon bemerkt als Adjutant des Landgrafen Friedrich in holländischen Diensten stand, wurde mein Bruder Moritz, wenn ich nicht irre auch meine Schwester Caroline geboren – ob auch mein Bruder Fritz, weiß ich nicht. Nachdem mein Vater nach Verlassen von Reichensachsen nach Kirchheim übergezogen war, widmete er sich in Gemeinschaft mit meiner vortrefflichen Mutter der Erziehung seiner Kinder und der Güteradministration, Meine gute Mutter unterzog sich dieser Erziehung ohne je den geringsten Unterschied zwischen den eigenen und den Kindern aus der früheren Ehe zu machen, zumal bei meinem Bruder Fritz, der kaum zwei Jahre älter war als ich. Ja, erst in späteren Jahren erfuhr ich, daß meine älteren Geschwister eine andere Mutter hatten.

Nachdem der Prinz von Oranien, früherer Stadthalter von Holland, als Äquivalent für dessen Verlust das Fürstentum Fulda erhalten hatten, wurde mein Vater daselbst als Oberstallmeister bestellt, freilich nicht auf lange Zeit, da der Prinz auch Fulda 1806 verlor. Nach Wiederherstellung des Kurfürstentums Hessen wurde mein Vater zum Obervorsteher der adligen Stifter erwählt. Durch den damit verbundenen Gehalt und eine holländische Pension verbesserten sich die finanziellen Verhältnisse meines Vaters wieder etwas, welche zur Erziehung seiner zahlreichen Familie nicht ausreichten. Durch den Wunsch, dieselben zu verbessern, veranlaßt, übernahm mein guter Vater pachtweise die Bewirtschaftung des Gutes Kirchheim, später auch leider die damit vereinigte von Frielingen. Er selbst verstand von Ökonomie nichts und nahm einen zwar tüchtigen und auch redlichen, aber etwas leichtsinnigen Verwalter Sprenger an, der zu sehr zur Spekulation neigte, um so mehr, da diese nicht aus seinem Beutel ging. Mein Vater legte eine Pottaschesiederei an, hauptsächlich zu dem Zweck, durch den Abfall mehr Düngematerial zu erhalten, wobei sich jedoch bald Verluste herausstellten. Noch weit größere aber in den Jahren 1816 und 1817 mit sehr schlechten Ernten. Infolge davon wurde das Branntweinbrennen mit eigener und überhaupt im Inland gezogener Frucht verboten und nur mit importiertem Roggen, namentlich aus den russischen Ostseeprovinzen erlaubt, wovon mein Vater in der sicheren Zuversicht der Aufrechterhaltung des Verbotes ansehnliche Vorräte kaufte. Sehr bald aber wurde dieses Verbot infolge falscher Finanzwirtschaft wieder aufgehoben. Dies verursachte selbstverständlich schwere Verluste, die gleichzeitige Bewirtschaftung von Frielingen zu verhältnismäßig

hoher Pacht noch erhöhten, Hierdurch geriet mein guter Vater, dessen Finanzen früher die bestgeordneten waren, nach und nach immer tiefer in Schulden, um so lästiger, als ein großer Teil derselben in kleineren Beträgen bei Bekannten aufgenommen wurden. Hierzu kam, daß die früher so vortreffliche Gesundheit meines Vaters zu leiden begann, endlich in ein schmerzliches lästiges Blasenleiden ausartend, mitunter Anfälle von Wassersucht im Gefolge habend. Dies veranlaßte den Wunsch bei ihm, daß ich meinen Abschied aus dem Militärdienst nehmen und ihm bei der Administration der Güter beistehen möge, ein Wunsch, den auch der gute Onkel Ernst teilte, der auch meinem eigenen entsprach, da ich des schalen, geisttötenden Garnisondienstes herzlich überdrüssig war.

So nahm ich denn 1823 in der Tat meinen Abschied und stand meinem Vater nach Kräften bei bis zu seinem bald darauf erfolgtem Tode. Dieser fand nicht in Kirchheim, sondern in der Wohnung meines Bruders Moritz in Kassel statt auf der Reise meines Vaters zu der jährlichen Obervorsteherkonferenz in Oberkaufungen, wohin ihn sein stets reges Pflichtgefühl, ungeachtet seines immer schwächer werdenden Gesundheitszustandes trieb. Ein strengerer redlicherer Mann wie mein Vater hat wohl nie gelebt; das Pflichtgefühl ging ihm über alles, ihm mußte alles nachstehen. Seiner Erziehung, sowie der meiner herrlichen Mutter verdanken wir Kinder alles, ihnen allein haben wir es zu danken, wenn wir nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft wurden.

Mein Bruder Moritz empfing seine Schulbildung durch einen guten, mit den alten Sprachen durchaus vertrauten Magister Jäncke, an dessen Unterricht auch zuletzt mein Bruder Fritz, ich wohl kaum als Abc-Schütze teilnahmen. Moritz bezog ohne vorherigen Gymnasialunterricht, damals wohl noch sehr mittelmäßig die Universität, mit bestem Erfolg. Noch in der westfälischen Zeit erhielt derselbe eine Anstellung bei dem Tribunal in Hersfeld. 1813, nach der Befreiung von der französischen Gewaltherrschaft, trat Moritz zugleich mit Vetter Wilhelm in das Hessische Freiwillige Jägerbataillon. Nach Rückkehr 1814 wurde derselbe bei einem Oberen Gericht angestellt und rückte ziemlich rasch zum Oberappellationsrat vor. Als solcher wurde er 1831 von der Ritterschaft zu deren Vertreter auf den ersten Landtag nach Errichtung der Hessischen Verfassung erwählt, dessen Präsident er wurde, nachdem es der schon damals reaktionären Regierung gelungen war, den bisherigen Präsidenten Jordan zu beseitigen. Moritz, zwar fest an der Verfassung haltend, zeigte sich doch nur gemäßigt liberal. Dessen ungeachtet wurde demselben jedoch bei späterer wieder auf ihn gefallener Wahl der Urlaub als Staatsdiener verweigert, worauf ich an seiner Stelle zum Abgeordneten erwählt wurde. Im Jahre 1848, wo die Zeitverhältnisse den damaligen Mitregenten, späteren Kurfürsten Friedrich Wilhelm zwangen, sein reaktionäres Ministerium, durch den berüchtigten Hassenpflug herangebildet zu entlassen und durch ein freisinniges zu ersetzen, wurde Moritz Justizminister und Vorstand des sogenannten "März- oder Ministerium Eberhard", ein Ehrenmann, Oberbürgermeister von Hanau, mein treuer Freund. Dieses Ministerium handelte in voller Harmonie mit der damaligen Ständeversammlung, deren verfassungsmäßige Tätigkeit jedoch im Oktober 1848 zu Ende ging. Viel Gutes, zumal mehrere vortreffliche Gesetze wurden so geschaffen, gingen

jedoch teilweise wieder zugrunde, als 1851 die neue Reaktionsperiode, irre ich nicht unter Hassenpflug, eintrat. Der bei weitem größte Teil des Kurhessischen Beamtenstandes, sowohl im Zivil wie im Militär blieb damals der gewaltsam aufgehobenen Verfassung treu, so auch Bruder Moritz, zum Präsidenten des Obergerichtes in Marburg nach Entlassung des Märzministeriums bestellt, und nahm als solcher seinen Abschied ohne Anspruch auf Wartegeld oder Pension zu machen, wozu er voll berechtigt war. Sein allgemein bekannter fester Charakter und seine juristischen Kenntnisse gingen so dem Lande verloren. Nachdem sich Moritz so vom Staatsdienst zurückgezogen hatten, lebte er anfangs in Marburg, dann in Kassel, um den übrigen Familienmitgliedern näher zu sein. Er erlitt mehrere Schlaganfälle, welchen endlich im Jahre 1871 seine kräftige Konstitution im hohen Alter erlag. Verheiratet war derselbe zweimal, zuerst mit Luise von Schenck aus dem Hause Schweinsberg, die kinderlos starb, sodann mit deren noch lebenden Schwester Marie, in welcher Ehe eine Tochter Luise geboren wurde, die den Oberforstmeister Ernst von Baumbach aus dem Hause Nassenerfurth heiratete, welcher Familie hinterlassend zu Meiningen starb.

Von meinen Brüdern stand mir im Alter und auch als Spielgefährte Fritz zunächst, mit dein ich auch gemeinschaftliche Hauslehrer hatte, bis Fritz in die Westfälische Kriegsschule zu Braunschweig aufgenommen wurde, aus welcher derselbe 1813 zum Leutnant in einem westfälischen Husarenregiment ernannt wurde. Dieses Regiment ging in der sächsischen Kampagne zu den Preußen über ohne Fritz, welcher auf Piquet stand, zuvor einzuberufen. Derselbe kam hierauf in preußische Kriegsgefangenschaft und hatte in dieser in Berlin eine schwere Krankheit zu überstehen. Davon genesen wurde er nach Wiederherstellung des Kurfürstentums Hessen als Premierleutnant in dessen erstes Husarenregiment bestallt, aber als solcher 1814 zu den reitenden freiwilligen Jägern kommandiert. Es gelang ihm, mehrere in Gefangenschaft geratende Soldaten auf dein Transport nach der Festung Langeoog zu befreien, für welche Tat er als Erstdekorierter den Hessischen Orden vorn Eisernen Helm, einer Nachahmung des Preußischen Eisernen Kreuzes, erhielt. Nach dem Friedensschluß 1815 stockte überall das Avancement, und Fritz blieb längere Zeit Regimentsadjutant, bis er endlich zu Ende der 20er Jahre zum Rittmeister einrückte. Aber schon mit Beginn der 30er Jahre stellten sieh bei ihm die Anzeichen der Schwindsucht ein, welcher derselbe auch bald unterlag. Vermählt war Fritz mit Bertha von Stückrad, jetzt noch in Kassel lebend. Das einzige, in der Ehe geborene Kind starb bald nach der Geburt. Der Tod dieses guten Bruders ging mir sehr nahe. Im Charakter hatte derselbe große Ähnlichkeit mit unserem vortrefflichen Vater, dessen Haupteigenschaft gleichfalls unerschütterliche Redlichkeit war. In seinem Regiment genoß derselbe die höchste Achtung.

Mein dritter, mehr als vier Jahre jüngerer Bruder Ernst genoß mit Bruder Hermann, eine kurze Zeit auch noch mit mir, den Unterricht tüchtiger Hauslehrer in Kirchheim, wodurch er ebenso wie später Hermann befähigt wurde, in eine höhere Klasse des Gymnasiums in Hersfeld einzutreten. Der tüchtigste dieser Lehrer – wie wohl für Ernst nur eine kurze Zeit – war der später in Hessen so berüchtigte Vilmar, damals höchst freisinnigen Grundsätzen, auch in der Religion huldigend. So erinnere ich mir noch über seiner Zimmertür die Worte: "Der Mensch kann, was er will." gelesen zu haben. Nach

Absolvierung der Universitätsstudien wurden sowohl Ernst, wie Hermann zu Referendarien in dein höheren Staatsdienst bestellt, wo sie freilich kein Diensteinkommen genossen, dagegen nach dem Tode meines guten Vaters die Unterstützung des edlen Onkels Ernst, bis beide endlich Assessoren mit freilich geringem Gehalt wurden und Ernst später zum Obergerichtsrat bei dem Obergericht in Kassel vorrückte und dadurch in den Stand gesetzt wurde, die Tochter des Geheimrates von Baumbach zu Meiningen aus dem Hause Nassenerfurth, Schwester des Mannes der Tochter von Bruder Moritz zu heiraten, aus welcher Ehe zahlreiche Nachkommen hervorgingen.

Ernst war ein allgemein anerkannter, höchst tüchtiger Jurist und hätte längst eine Anstellung im Oberappellationsgericht verdient. Jedoch standen dein dessen wenn auch nicht gerade direkt markierten freisinnigen, von Servilität jedoch weit entfernten Grundsätze entgegen, mehr wohl noch des Kurfürsten Haß gegen mich – worauf ich später noch zurückkommen werde – welcher derselbe auch auf meine Brüder, treu seinem niedrigen Charakter übertrug. Mit um so innigerer Freude erfüllte es mich, als 1848 nach Durchbringung eines Gesetzes, wodurch der Ständeversammlung die Wahl einiger Oberappellationsgerichtsräte eingeräumt wurde, durch meine damalige Stellung als Präsident der Ständeversammlung und meine vielen Freunde in solcher Ernst's Wahl zum Oberappellationsgerichtsrat durchzusetzen, ebenso, wie es mir in früheren Jahren gelungen war, dessen Wahl zum derzeitigen Mitglied der Kurhessischen Feuerversicherungsgesellschaft zu veranlassen, welche verfassungsmäßig der Ständeversammlung zustand, womit der freilich nur geringe, aber doch für Ernst damals erwünschte Gehalt von 200 Talern verbunden war. Nachdem ich 1849 mit den Meinigen nach Amerika ausgewandert war, fiel Ernst gemeinschaftlich mit dem nun in Kirchheim wohnenden Bruder Hermann die bisher von mir geführte Güteradministration zu, allerdings für ihn sehr erschwert, da er nicht in Kirchheim selbst wohnte, sondern sich darauf beschränken mußte, dort nur seinen Urlaub zuzubringen, und hatten zum diesem Zweck die Brüder sich zu Kirchheim durch einige Bauänderungen Wohnungen eingerichtet neben der dortigen permanenten von Hermann. Diesen verhinderte leider seine Körpergebrechlichkeit, worauf ich später zurückkommen muß mit den schmerzlichsten Gefühlen, sich der Administration nach außen anzunehmen, und diese fiel Ernst zu, namentlich die Leitung des Forstbetriebes, dessen er sich eifrigst und mit gutem Erfolg annahm.

Ernst hatte durch besonders frühe Überarbeitung in seinem Dienst seine so kräftigen Konstitution zuviel zugemutet, in welcher sich endlich Unterleibs- und Nervenleiden festsetzten, wogegen wiederholte Badekuren nur teilweise Linderung gewährten; indessen ließ doch diese kräftige Konstitution und nicht zu hohes Alter keine Befürchtung eines baldigen Endes aufkommen, um so weniger, als die erlangte Stellung als Vizepräsident des Appellationsgerichtes zu Kassel, welche mit einem guten Gehalt verbunden war, keine hohe Anstrengung mehr erforderte und ausreichende Muße gewährte. Im September 1874 kehrte Ernst mit seiner Familie vom Urlaub zurück aus Kirchheim, nachdem derselbe zuvor noch ein Bad besucht hatte. Er verließ Hermann dort schon krank und wurde selbst wohl dort noch von einem daselbst epidemisch herrschenden

Nervenfieber, angeblich durch schlechtes Wasser veranlaßt, angesteckt, welches bald bei ihm ausbrach Lind seinen Tod im Oktober 1874 herbeiführte, ohne daß ihm der von Hermann bereits im September erfolgte mitgeteilt wurde.

In der Ehe von Ernst wurden geboren: Carl, jetzt allgemein geachteter und sehr tüchtiger Assessor bei der Regierung zu Kassel, welchem nach dein Tode meines guten Bruders die schwierige Administration der Kirchheimer Güter im gemeinschaftlichen Besitz mit den männlichen Nachkommen von Bruder Hermann zufiel, welcher sich indessen mit lobenswertern Eifer derselben mit Erfolg unterzieht. Sehr erschwert wird dieselbe, da sie von Kassel aus hauptsächlich geleitet werden muß und sowohl Rendant, wie auch besonders Forstbeamte vieles zu wünschen übrig lassen. Vielleicht, daß die jetzt wohl stattgefundene Verheiratung mit einem Fräulein von Mansbach, Enkelin des auch mir bekannten Ministers von Motz, eine Veränderung in dieser Beziehung, wenn auch nicht unmittelbar herbeiführt. Außer Carl hinterließ Bruder Ernst noch zwei Söhne, Reinhard, welcher sieh dem Ingenieurfach widmete und Wilhelm, einem spätem Sprößling, welcher jetzt noch das Gymnasium zu Kassel besticht. Ferner drei Töchter Amalie mit Major von Lossberg verheiratet, Elisabeth und Luise unverheiratet, beide bei ihrer Mutter in Kassel lebend.

Die Jugend meines Bruders Hermann gedachte ich bereits. Jetzt komme ich zu einem Moment meines Lebens, dem fürchterlichsten, welcher mich noch in der späten Erinnerung tief erschüttert und worauf ich, komme ich zur Beschreibung meines eigenen Lebenslaufes, ausführlicher kommen werde. Es war am 02. Dezember 1833, als eine zahlreiche Gesellschaft von Verwandten und Freunden in Kirchheim versammelt war, um die alljährlich von mir veranstalteten Herbstjagden abhalten zu helfen. Nach Beendigung eines Treibens gingen unter meiner Leitung die wieder versammelte Schützen nach einem anderen Treiben, als sich plötzlich ein Lauf meines in gesenkter Lage an einem Riemen auf der Schulter getragenen Doppelgewehr auf ganz unerklärliche Weise entlud, und der Schrotschuß in die Kniescheibe des unmittelbar vor mir schreitenden, armen Hermann drang, der sofort zu Boden sank. Er wurde alsbald nach dein ziemlich entfernten Kirchheim geschafft und kam leider anfänglich nicht in die besten wundärztlichen Hände, welche die Verletzung ohne gründliche Untersuchung als eine Fleischwunde behandelten, anstatt sofort Amputation vorzunehmen, wozu es später nicht mehr Zeit war. Auf dessen Rat wurde Hermann nach Fulda transportiert und dort soweit hergestellt, daß er an leichter Krücke zu gehen und später wieder Jagden mitzumachen vermochte. Nach der Herstellung kehrte Hermann nach Hanau zurück, wo er als Assessor von der dortigen Regierung angestellt war; er verrichtete seinen Dienst vollständig wieder und genoß die hohe Achtung seiner Kollegen und seines Direktors Lotz. Als die Zeit herankam, wo er durch sein Dienstalter und Befähigung gerechte Ansprüche auf Beförderung zum Regierungsrat hätte, wurde er dazu wiederholt von seinem Direktor dringend und stets dringender vorgeschlagen, ebenso oft jedoch der Vorschlag vom Kurfürsten verworfen, nur allein, um seinen grimmigen Haß gegen mich befriedigen zu können, welchen ich mir auf höchst unverdiente und ungerechte Weise als Mitglied der Ständeversammlung zugezogen hatte, worauf ich später zurückkomme, wohlwissend und fühlend, daß er gerade dadurch seinen Haß gegen mich auf für mich

empfindliche Weise befriedigen könne. Hierdurch nahm der Lebenslauf meines Bruders eine für ihn traurige Wendung und gingen seine gründlichen Kenntnisse, verbunden mit dem klarsten Verstand für den Staat verloren. Als alle Vorschläge zur Beförderung abgeschlagen wurden, nahm Hermann seinen Abschied, um nicht im Dienstalter ihm folgende Kollegen des Vorrückens zu berauben, obgleich er mit seinem Lebensunterhalt dadurch allein auf seinen geringen Anteil an den Güterrevenüen angewiesen war, und heiratete in dieser Lage noch daneben die Tochter seines Hauswirtes Horst zu Hanau, mit welche er anfänglich nach Worms zog, dann auf Bitten von uns Brüdern nach Frielingen, wo er eine geräumige Försterwohnung bezog. Hier wohnte er so lang, bis ich 1849 nach Amerika auswanderte, wo er nach Kirchheim zog. Dort starb seine Frau, worauf Hermann eine angenommene Haushälterin heiratete. Obgleich beide Frauen meinem guten Bruder an Bildung weit nachstanden und er dies auch sicher fühlte, so hat er im allgemeinen doch glücklich mit denselben gelebt, und besonders seine zweite Frau ließ es an Pflege nicht fehlen, als endlich durch Amputation des kranken Beines, welches so nachteilig auf das körperliche Befinden einwirkte, stattfinden mußte. Aber auch hier noch hatte der arme Hermann sehr zu dulden. Während der Winterzeit war er auf die Stube beschränkt, entwöhnte sich aber dadurch so sehr der Luft, daß er selbst in der besseren Jahreszeit nur selten den Garten besuchen konnte aus Besorgnis, sich den schmerzlichsten Rheumatismus zuzuziehen. Und wie oft hatte der Arme an den empfindlichsten Schmerzen zu leiden, wie ich mich selbst überzeugte, als ich 1872 das alte Vaterland wieder besuchte und größtenteils in Kirchheim lebte. Mit dem größten Edelmut suchte der gute Hermann da seine sicher peinvollen Körperschmerzen gerade vor mir zu verbergen, was mir stets einen Stich gab. Seine Zeit verwendete derselbe auf die Administration der Güter, soweit sich dieselbe vom Zimmer aus leiten ließ, aber auch zur Erziehung seiner Kinder, deren direkten Unterricht er allein übernahm und bei den Söhnen soweit durchführte, daß dieselben mit Erfolg gleich die mittleren Klassen des Gymnasiums zu Hersfeld, der jüngste Sohn Louis eine Realschule in Meiningen besuchen konnten.

Aus seinen beiden Ehen hatte Hermann sechs Kinder: Julius, welcher sich dem[GWR 4] Militär zuwendete und jetzt wohl in der Armee dem Hauptmann nahesteht, Wilhelm, einen sehr begabten Menschen, welcher studierte, 1870 als Freiwilliger in das Heer eintrat und leider noch am Schluß der Feindseligkeiten blieb, welcher Tod meinem armen Bruder sehr nahe ging, da er vorzugsweise mit Liebe an diesem Sohne hing, Louis, der sich dem Forstfach widmen wollte, was für die Familie von großem Nutzen hätte sein können, nun aber auch leider ins Militär eingetreten ist. Hermann hinterließ ferner drei Töchter, Gretchen und Malchen, beide verheiratet und Toni, welche jetzt noch bei ihrer Mutter in Kirchheim lebt. Der gute Hermann starb wie schon erwähnt im September 1874 zu Kirchheim am Nervenfieber. Für ihn war der Tod geistig und auch körperlich wahre Erlösung, da er denselben von den oft peinlichsten Schmerzen befreite.

Kurz will ich hier noch meiner Schwestern gedenken, die älteste Caroline heiratete den Major von Dörnberg zu Hausen, aus welcher Ehe zwei Kinder geboren wurden, Marianne, welche frühzeitig starb und Moritz, welcher jetzt noch in Kassel lebt. Marie starb unverheiratet, ein gutes Mädchen aber von nicht glücklichem Temperament, welcher

meiner guten Mutter oft große Sorgen machte, Mathilde, welche den Forstmeister von Carlshausen zu Altenhasslan heiratete, einen reichen, aber oft schmutzig geizigen Mann, wo später Trennung in der Ehe ohne wirkliche Scheidung stattfand. Mathilde starb 1872 in Hanau. Endlich Auguste, welche Georg von Kaltenborn heiratete, der vor einigen Jahren in Marburg als General starb und mehrere Kinder hinterließ. Gustchen lebt jetzt noch daselbst.

Ich komme nun zur Schilderung meines eigenen bewegten Lebenslaufes. Man hat mir gesagt, ich sei ein hübsches Kind gewesen, vielfach verhätschelt von den Freundinnen meiner Mutter, welche dieselbe besuchten, zumal von Friederike von Baumbach, einer Tochter des Ministers aus dem Hause Lenderscheid, bei uns die "alte Friede" genannt, welche die Verhätschelung soweit trieb, mich mit in ihr Bett zu nehmen. Ich war wohl ein läppischer, furchtsamer und weinerlicher Knabe, stets nach der Mutter rufend. Im Dunkeln hatte ich große Furcht, so daß ich bei meinen öfteren Besuchen in Nentershausen mir selbst Wachslichtchen machte bei der alten Tante Wangenheim, einer Schwester der Tante Christel, welche im schon erwähnten Witwenhaus meiner Großmutter ihr Zimmer hatte und auch ich eine Schlafkammer. Diese Lichter bliesen dann meine Vettern aus, besonders Wilhelm, stets zu Neckereien geneigt, und ich mußte dann heulend im Dunkeln bleiben.

Aus diesem frühen Lebensalter erinnere ich mich noch lebhaft eines Vorfalls. Schon früh, wohl zu früh, erhielt ich eine kleine Vogelflinte zum Geschenk und durfte daraus wie mein Bruder Fritz unter Aufsicht eines Erwachsenen Spatzen schießen. Eines Tages neckte mich unser Gärtner Löwe, später Verwalter. Ich wußte, daß die Flinte, gewöhnlich ungeladen in einem Schrank in dem[GWR 4] Schlafzimmer meiner Eltern hinter dem Wohnzimmer stand, ich lief dahin, nahm das Gewehr aus dem[GWR 4] Schrank und kam damit unbemerkt durch das Wohnzimmer, wo Besuch bei meinen Eltern war, in die Gesindestube, wo Löwe war, spannte meinen Hahn, schlug auf ihn an ausrufend: "Warte, jetzt will ich dich totschießen, aber erst sehen, ob Pulver auf der Pfanne ist." Ich schlug den Hahn zurück – Perkussionsgewehre kamen erst Ende der 20er Jahre auf, anfänglich vom[GWR 5] Kurfürst streng verboten – was glich hierbei meinem Schrecken, als ich hierbei die Flinte geladen fand, welche so, mir unbewußt, in den Schrank gesetzt war. Ich hätte ohne diese Eingebung, ich kann nicht anders sagen – von Gott, schon als Kind ein Mörder werden können. Schon frühzeitig wurde ich auf Jagd mitgenommen und gewann natürlich Leidenschaft dafür und Fertigkeit im Gebrauch des Gewehres.

Meine Eltern hegten einen tiefen Haß gegen die Herrschaft Napoleons in Deutschland, welcher auch uns Kindern frühzeitig eingeflößt wurde. Sehr genau erinnere ich mich noch der Begeisterung und frohen Hoffnung meiner Eltern als auf geheimen Wege die Nachricht der siegreichen Schlacht der Österreicher bei Aspern 1809 einlief. Auch wir Kinder wurden in die Eßstube gerufen und uns solche mitgeteilt. Noch größer wurde mein Interesse durch die Nachricht der Niederlage der Franzosen in Rußland erweckt, welche bald durch das 29. Bulletin bestätigt wurde. Der Jubel steigerte sich mehr und mehr, als 1813 der Aufruf des Königs von Preußen um die Erhebung Deutschland stattfand, und er erreichte seinen Gipfel nach der siegreichen Schlacht bei Leipzig am

18. Oktober. Wenige Tage darauf hörte ich während eines Treibjagens aus der Ferne den ersten Kanonendonner in meinem Leben, veranlaßt durch einen Angriff der Kosaken auf die retirierende Französische Armee bei Vacha. Nach der Wiederherstellung des Kurfürstentums Hessen hatte solches natürlich sein Kontingent zu der Deutschen Armee gegen Frankreich zu stellen. Ich ließ nicht nach, meine Eltern mit der Bitte zu bestürmen, mich in solches eintreten zu lassen, welchem endlich mein guter Vater in der eigenen Begeisterung für Deutschlands Befreiung nachgab, mich Anfang Dezember mit nach Kassel nahm. Dort stellte er mich dem Kurfürsten Wilhelm 1. vor und bat, doch wohl eingedenk meiner zu großen Jugend für einen Feldzug mich in seiner Garde als Fahnenjunker zu plazieren, was dann der alte Herr huldvoll mit den Worten: "Da kommt er bei mir an." aufnahm. Ich dagegen, in meiner knabenhaften Begeisterung für einen Feldzug gegen den Feind, auch wohl den Spott fühlend, welche damals die Hessische Garde in ihren veralteten Uniformen und steifen Zöpfen allgemein in Kassel erregte, bestürmte den guten Onkel Ernst, welcher sich in Kassel befand, solange, bis mir derselbe ein Patent als Sekondleutnant in dem Regiment "Landgraf Karl", für die Kampagne bestimmt, auswirkte, schon Ende Dezember. So trat ich denn wirklich ein 14-jähriger Knabe in dasselbe ein, welches bereits im Januar 1814 seinen Marsch nach Frankreich antrat, wozu mir mein Vater sein eigenes Reitpferd, einen Schecken, welchen er von einem Kosakenoffizier eingetauscht hatte, ein ungezogenes wildes Tier, welches mich unzählige Male abwarf, ehe ich Meister desselben wurde, mitgab.

Das Regiment war aus größtenteils ganz roher, eben ausgehobener Mannschaft zusammengesetzt, welche notdürftig in den Handgriffen mit Beihilfe von Unteroffizieren aus dem westfälischen Dienst eingeübt wurde in der Garnison zu Hersfeld, die Kompanie bei welcher ich stand, zuletzt in Oberngeis. Ich, in meiner gänzlichen Unwissenheit, spielte eine klägliche Rolle dabei, da mich selbst niemand unterrichtete, und ich kam auf dem[GWR 4] späteren Marsch oft in die größte Verlegenheit, da ich mich natürlich bei Führung meines Zuges selbst in die einfachsten Evolutionen, welche kommandiert wurden, nicht zu finden wußte, bis ich dieselben nach und nach lernte. Noch weit schlimmer war es indessen für mich, daß ich in ein so
wüstes und rohes Offizierscorps einzutreten gezwungen war, größtenteils aus dem westfälischen Unteroffiziersstand hervorgegangen, welches mich einen reinen Jungen natürlich mit nichts weniger als günstigen Gefühlen aufnahm, um so weniger, als ich ein älteres Patent, als viele von ihnen erhalten hatte. Gar manchen harten Verführungen war ich dabei ausgesetzt, welchen ich auch nur zu häufig unterlag und Gefahr lief, körperlich und geistig dadurch unterzugehen, hätte nicht Gottes Vaterhand über mir gewacht, welches ich freilich erst durch spätere Einsicht bei dieser Gelegenheit, wie bei so vielen anderen erkennen lernte. Das Hessische Corps wurde 1814 allein zu den Blockaden von Luxemburg, Thionville und Metz verwendet, ein langweiliger, dabei doch ermüdender und beschwerlicher Dienst, in welchem nur durch Ausfälle aus den Festungen Abwechslung kam. Nach dem[GWR 4] Friedensschluß standen wir einige Monate in Luxemburg in Garnison und kehrten im Herbst nach Hessen zurück, wo ich bald in das Grenadierbataillon Lossberg, halb aus Regiment Landgraf Carl halb Prinz Solms zusammengesetzt, versetzt wurde mit der Garnison Kassel.

Nach der Rückkehr Napoleons von Elba marschierte das Bataillon mit dem Hessenkontingent wieder nach Frankreich zu einer wenigstens etwas angenehmeren Kampagne. Dasselbe wohnte der Einnahme von Sedan, dann der Belagerung und Übergabe von Mézieres bei, und bezog nach dem Friedensschluß Kantonierungsquartier zunächst in der Nähe von Mézieres, dann tiefer in den Ardennen in weitläufig gelegenen Ortschaften, endlich im Spätherbst wieder in die Garnison Kassel zurückkehrend. Hier mußten wir uns zu unserem großen Ärger an das Tragen von Zöpfen und Pudern der Haare gewöhnen, da das ganze Herz des Kurfürsten daran hing. Mancher lächerliche Fall kam dabei vor. Einige Offiziere pflegten ihre Zöpfe an einem Leder befestigt in den Rockkragen zu stecken, andere den Zopf an den Tschako zu nähen. Bei dem Herausrufen der Wache, auf welche oft Offiziere zu Besuch kamen, kam es nun nicht selten vor, daß der wachhabende Offizier in der Eile einen Tschako ergriff, an dem ein Zopf befestigt war, während er schon einen solchen im Rockkragen befestigt trug und so mit zwei kurfürstlichen Möbeln, wie wir die Zöpfe nannten, paradierte. Schon nach kurzer Zeit wurde ich zu meinem Leidwesen in das Zweite Bataillon Landgraf Carl versetzt, um einem Neveu des Bataillonskommandeurs von Lossberg Platz zu machen. Sowohl die Subaltern-Offiziere in diesem Bataillon, als auch die im Grenadierregiment Lossberg richteten kurz darauf eine Bittschrift an den Kurfürsten um Erhöhung ihres elenden Soldes, der Sec. Leutnant hatte monatlich nur 13 Taler, noch mehreren Abzügen unterworfen. Dies wurde als Insubordination ausgelegt und das Zweite Bataillon zur Strafe nach Kirchheim bei Marburg, dann nach Schmalkalden, das Grenadierbataillon nach Ziegenhain verlegt. Das Zweite Bataillon wurde endlich nach Fulda beordert und kam so unter direktes Kommando des nichts weniger als angenehmen Obersten von Haynau, eines unehelichen Sohnes des Kurfürsten. Zu meiner großen Freude bewirkte aber Oberstleutnant von Lossberg schon nach kurzer Zeit meine Zurückversetzung in sein Bataillon nach Ziegenhain. Daselbst verlebte ich einige angenehme Jahre, in dem ich mit Oberstleutnant von Lossberg und meinem treuen Freund, dem Hauptmann Hans von Bardeleben, vielfache Jagdpartien machte, da diese zusammen in der Nähe von Ziegenhain eine Jagd gepachtet hatten, wir uns aber kein Gewissen daraus machten, die Grenzen vielfach zu überschreiten. Auch hatte ich öfter Gelegenheit, meine Eltern in dem unfernen Kirchheim zu besuchen, gewiß häufig nicht zur Freude meiner jüngeren Geschwister, da ich und mein aus Frankreich mitgebrachter, ausgehungerter und an den Genuß von Obst gewöhnter Hühnerhund in diesem großen Verwüstungen im Garten anrichteten.

Im Jahr 1821 starb endlich Kurfürst Wilhelm 1, und ich wurde unter Avancement zum Premierleutnant zu dem neu errichteten Leibgarderegiment nach Kassel versetzt. Dasselbe hatte ein neu gebildetes, vorzügliches Offiziercorps besonders unter dem jüngeren Teil desselben. Wir hatten einen gemeinschaftlichen Tisch vor dem holländischen Tor, verlebten dort sehr vergnügte Stunden trotz des angestrengten auf reiner Gamaschenknöpferei hinaus laufenden Dienstes, worin unser nichts weniger als beliebter Kommandeur Major Heinrich von Lossberg aus Kriecherei vor dem Kurfürst exzellierte. Manche gar liebe, unvergeßliche Freunde erwarb ich mir hier, so den längst verstorbenen Rudolf von Kaltenborn, besonders aber Weiss. Die höchsten Anstrengungen wurden gemacht, um zum Geburtstag des Kurfürsten im August 1821 das

Garderegiment neu zu kleiden und zu diesem Zweck eine Werkstätte von 200 Schneidern errichtet. Mir wurde die spezielle Aufsicht darüber übertragen, und durch große Anstrengungen bei Tag und Nacht gelang es mir auch, das Werk bis zum angesetzten Termin zur Zufriedenheit zu beenden, wofür mich ein 2-monatlicher Urlaub mit voller Gage belohnte.

Im folgenden Jahr erschien die damals viel besprochenen Drohbriefe an den Kurfürsten, worüber meines Wissens vollständige Aufklärung nie stattfand, wahrscheinlich wurden dieselben von dem damaligen Polizeidirektor von Manger veranlaßt, um sich unentbehrlich zu machen. Der Kurfürst hielt sich größtenteils in Wilhelmshöhe auf, und ein starkes Detachement der Leib und abwechselnd der Jägergarde versah den dortigen Wachdienst. Nachts war eine starke Postenkette um das Palais und die Gänge darunter gezogen und die Posten mit scharf geladenen Gewehren und der Order versehen, auf jeden Verdächtigen sofort Feuer zu geben. Des Nachts hatte der Offizier die Postenkette mehrmals zu inspizieren, und ich erinnerte mich noch deutlich der regen Besorgnis, bei dieser Gelegenheit in den unterirdischen Gängen von einem überdiensteifrigen Posten über den Haufen geschossen zu werden.

Aus dieser Zeit muß ich auch eines mich betreffenden eigentümlichen Vorfalls gedenken. Zum Wachlokal war ein unfern des großen Bassins gelegene in westfälischer Zeit leicht erbauter hölzerner Pavillon bestimmt worden mit zwei Abteilungen, eine für Offiziere, die andere für Mannschaften, in beiden befanden sich Kamine. Ich hatte anfangs Mai 1822 die Wache an einem kalten Tag und noch kälterer Nacht. Bei Beginn der letzteren machten die Leute in ihrem Lokal Feuer an mit Spänen, welche bei dem Bau eines benachbarten Orangeriegebäudes anfielen, wozu schon früher Erlaubnis gegeben war. Plötzlich, gegen 11:00 Uhr kam ein Unteroffizier in mein Zimmer gestürzt mit dem Ausruf "Herr Leutnant, die Wache brennt!" Ich stürzte augenblicklich heraus in die Stube der Leute, fand aber in dem Kamm keine Spur von Feuer mehr, dagegen dasselbe am Dachsims leckend. Ich ließ alsbald eine Leiter anstellen und versuchte, das Feuer mit Wasser aus dem Bassin zu löschen, welches sich aber als vergeblich erwies, da das Gesims mit Harz befestigt war und dieses schon allenthalben brannte und so der leichte Bau nicht zu retten war ich ließ aus demselben alles Bewegliche schaffen und den Vorfall im Palais melden. Bald darauf erschien der Kurfürst auf der Brandstätte, welchem ich nicht ohne Besorgnis bei dessen bekannter Heftigkeit entgegensah. Indessen erfolgte kein Ausspruch desselben, vielleicht, weil ich meine Mannschaft unter Gewehr stehen hatte und derselben mit gezogenem Säbel vorstand. Auf Befragen erwiderte ich, die Leute hätten in ihrer Stube in Gemäßheit früher erteilter Erlaubnis Feuer angemacht, Funken aus demselben hätten den Schornstein und so das Gesims in Brand gesteckt, worauf der Kurfürst erwiderte: "Aber Sie als Wachkommandant tragen die Verantwortung", wozu ich mich alsbald bekannte. Nach erfolgter Ablösung und Rückkehr nach Kassel erhielt ich Arrest auf der Schloßwache und erfolgte eine strenge Untersuchung des Vorfalls, beiläufig bemerkt, durch ein Rindvieh von Auditeur – von Gehren –, dessen erste Frage war: "Wieviele Kamine waren im Wachlokal?", wohl um mich damit zu fangen. Alle Kameraden und der sehr aufgebrachte Kommandeur von Hessberg waren allgemein der Ansicht, einige Monate Festungsarrest würden wohl

meine geringste Strafe sein. Aber schon des anderen Tages wurde ich aus dem Arrest entlassen und bei dem befohlenen Abmelden beim Kurfürsten hielt mir dieser zwar eine kleine Rede über die mögliche Gefährlichkeit, als ich aber nach Entlassung im Begriff war, die Tür des Zimmers zu öffnen, kam er hinter mir her und sagte, mir auf die Schulter klopfend: "Nun machen Sie sich keine Sorgen mehr, alles ist vergessen!". Gewiß ein Beweis, daß der Mann ein Herz hatte, obgleich er sich nicht selten in einem an Verrücktheit grenzenden Zustand befand. In der Tat trug mir der Kurfürst diesen Vorfall nie nach, zeigte sich vielmehr gnädig gegen mich, welches wohl ganz anders bei seinem Sohn und Nachfolger gewesen sein dürfte, welcher in der Tat kein Herz im Busen trug.

Mittlerweile wurde mir der schale unnütze Garnisonsdienst mehr und mehr zum Ekel, je mehr sich mein Verstand entwickelte und ich hierüber zu einer klaren Einsicht kam. Besonders übten großen Einfluß die so durchaus schmutzigen Torwachen aus, welche 24 Stunden ein Offizier mit Mannschaft beziehen mußte. Die tödlichste Langeweile waltete daselbst vor, welche nur durch Lesen eines schlechten Romans zu töten war, da die ernstlichen Studien, der Schmutz und schlechte Atmosphäre sowie die Unterbrechung durch Herausrufen hinderte. Aber auch der sonstige Dienst war geisttötend, nur auf Parade, nicht auf Felddienst gerichtet. Um so lieber folgte ich der Aufforderung meines guten Vaters und Onkels Ernst, ersteren bei Verwaltung der Güter zu unterstützen, und kam meinen Abschied um 1823 ein, wobei mir anfänglich Schwierigkeiten gemacht wurden, welchen mir aber endlich das Wohlwollen des Kurfürsten mit dem Charakter als Hauptmann erteilte.

Ich kam dadurch allerdings an einen für mich fremden Wirkungskreis, jedoch gelang es mir bald, mir nach und nach entsprechende Kenntnisse, besonders bezüglich der Forstwirtschaft zu verschaffen, da ich schon von Kindheit an mit großer Liebe an dem schönen grünen Wald hing. Sehr viel verdanke ich dabei den Lehren des guten Onkels Ernst, einem trefflichen Forstwirt, sowie dessen Vetter Fritz; nicht minder aber der Erfahrungen des damaligen Försters Pilgram zu Frielingen, einem tüchtigen Forstmann, den nur Trägheit, besonders am Schreibtisch, vorzuwerfen war. So erwarb ich mir bald praktische Erfahrung, verbunden mit dem Studium guter forstlicher Werke. Mir darf ich zum großen Teil des Verdienst zurechnen, aus der herrlichen Buchmast 1822, die, begünstigt durch das milde Frühjahr 1823 trefflich aufkeimen konnte die schönen Buchenbestände, welche jetzt die Frielinger Höhen zieren, herangezogen zu haben, welche in noch weit besserem Stand jetzt sein würden, wären nicht leider rechtzeitige Durchforstungen versäumt worden, wovon ich mich bei einem Besuch des alten Vaterlandes 1872 überzeugte. Nicht minder nahm ich mich der Nadelholzkultur in den meisten der übrigen Bestände an, wodurch diese einzig und allein als Wald erhalten werden konnten. Diese Kulturen wurden größtenteils durch Einsaat und Pflanzung der Kiefer bewirkt, begünstigt durch den damaligen niedrigen Preis des Kiefernsamens, welcher jetzt sehr hoch steht, wofür ich den Grund eigentlich nicht zu begreifen vermag. Lage und Bodenverhältnisse, besonders aber die übertriebenen Abgaben der Heide als Streu, noch mehr durch Frevel, ließen einzig und allein diese sehr genügsamen Nadelhölzer, daneben zeitige Nutzung versprechend, auch als Kulturmittel für jene devastierten

Reviere erkennen, welcher Ansicht ich auch noch jetzt bin, obgleich ich 1873 eine beinahe einstimmige Verdammung dieser Holzart unter den Forstmännern vorherrschend fand, teils, weil die Erträge den gehegten Erwartungen nicht entsprachen, dabei dem früheren devastierten Zustand jener Reviere nicht genügend Rechnung tragend. Jedoch versäumte ich nicht, allenthalben, wo der Boden und Lage Anbau der Fichte gestattete, diese anzuwenden, so in den kleinsten Schluchten mitten in Kiefernbeständen, welche jetzt in einem weit festeren, baldige Nutzung gestattendem Stand sein würden, wären auch nicht hier zeitige Durchforstungen von dem damaligen unwissenden Förster Meyer versäumt worden, während die Staatsforstbeamten, welchen die Kontrolle des Betriebes anvertraut war, offenbar versäumten, die Reviere im Inneren derselben zu revidieren. Ebenso suchte ich, das Laubholz zu erhalten, wo auch die kleinste Stellen in den Kulturen oder größere Flächen dessen Gedeihen für die Zukunft einigermaßen versprachen, und zwar eben wohl mit gutem Erfolg, wie ich mich 1872 überzeugte. Als Beispiele nenne ich Buchholz über der Wiese, ganz kleiner Bestand, in Heddersbach am Felde gelegener Kirchheimer Forst, oberster Teil der Hube und Hain Frielinger Forst, beide nach Betriebseinrichtung zum Nadelholz bestimmt.

Mit fast noch größerer Vorliebe nahm ich mich der sehr heruntergekommenen Jagd an, wozu ich noch Staatsreviere am Eisenberg, Scheid und Eichberg bis zur Dornbergischen Grenze pachtete, nebst allen Feldern, wo der Staat Koppeljagd mit uns hatte. Noch entsinne ich mich deutlich der Äußerung meines guten Bruders Fritz: "Nun, da Louis in Kirchheim ist, braucht man doch gar nicht mehr auf die Jagd zu gehen." Statt dessen konnte ich schon nach Ablauf weniger Jahre, wo ich streng hegte, Treibjagden anstellen, wo in vier Tagen 300 bis 400 Hasen geschossen wurden statt früher in einem Tag kein halbes Dutzend. Der Rehstand hob sich gleichfalls außerordentlich, leider zu sehr, so daß ich erst später in meinem blinden Jagdeifer den großen Schaden erkannte, welchen diese Wildart an den jungen Kulturen tat. Ich schoß allein nur auf dem Pirschgang im Jahre 50 bis 100 Rehböcke und auch der Hochwildstand hob sich durch Schonung, so daß durchschnittlich 12 bis 16 Stück erlegt wurden. Meine Lieblingsjagd war die Schnepfensuche im Frühjahr und Herbst, deren ich allein im Jahr mit Hilfe meiner vortrefflichen Hühnerhunde 50 bis 60 Stück schoß.

Die Finanzen meines guten Vaters suchte ich nach Kräften wieder zu ordnen, welches freilich nur dadurch möglich wurde, daß die älteren Brüder und ich – ich freilich nur allein durch Beistand des guten Onkels Ernst – nichts aus den Gütern – die jüngeren wenig bezogen. So wurde es mir möglich, diese Schulden, wohl circa 12.000 Taler, schon wenige Jahre nach des Vaters Tod gänzlich abzuzahlen. Ebenso gelang es mir, den Rest, der noch auf dem Kaufgeld der Frielinger Güter haftenden Schuld, circa 6.000 Taler dadurch abzutragen, daß ich Ende der 20er Jahre einen schönen, wenn gleich früher nicht gut bewirtschafteten Fichtenbestand in der Wiesbach abholzen und an das Staatsholzmagazin in Kassel verkaufte, allerdings nur zu Preisen, sehr viel niedriger, als die gegenwärtigen für Fichtennutzholz. Der Erlös reichte jedoch aus, die Güter schuldenfrei zu machen.

Im Jahr 1829 lernte ich meine gute Frau Wilhelmine, Tochter des zu Ziegenhain verstorbenen

Generalleutnants von Schenck aus dem Hause Buchenau zu Buchenau kennen, oder vielmehr ich erneuerte deren Bekanntschaft, da ich sie sehr oft während meines Garnisonslebens bei ihrer dort lebenden verwitweten Mutter als Kind gesehen hatte. Noch im Laufe des Sommers verlobten wir uns und fand am 23. November zu Kirchheim die Kopulation statt. Sie war mir während der ganzen Dauer unserer Ehe bis zu ihrem Tod am 03. Mai – dem Geburtstag meiner guten unvergeßlichen Mutter – 1870, also während 41 Jahren eine mich stets innig liebende, treue Lebensgefährtin, welche vor keinem Opfer zurückschreckte, deren sie so viele für mich und meine Kinder zu bringen hatte, und lebten wir in einer wahrhaft glücklichen Ehe. Wäre ihr ein Vorwurf zu machen, so wäre es der einer zu großen Schwäche gegen ihre Kinder, aber nur durch ihre unendliche Liebe zu denselben veranlaßt. Sie brachte mir auch ein nicht unbeträchtliches Vermögen zu und trug durch ihre vortreffliche Haushaltung und Sparsamkeit zur Erhaltung desselben bei.

Geboren wurden in dieser Ehe, nachdem meine Frau zwei Faüx-Couches[GWR 6] überstanden, ein Mädchen welches indessen bald nach der Geburt starb, Ernst am 04. August 1832 zu Kirchheim, Moritz am 13. Januar 1834 zu Kassel, Wilhelm am 09. Juli 1835 zu Kirchheim, Fritz am 30. August 1838 daselbst, starb am 18. Januar 1839 daselbst, Lilli am 07. Dezember 1841 daselbst, Reinhard am 16. Oktober 1848 zu Kassel, welcher aber 1851 zu Black River in Ohio starb, und Clotilde, geboren am 15. Juni 1850 daselbst, meine treue Pflegerin und Vertraute in meinem jetzigen hohen Alter.

Meine gute Tochter Lilli heiratete den hiesigen Rechtsanwalt, späteren preußischen Konsul Rosenthal und lebte in einer glücklichen Ehe mit demselben, in welcher zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen geboren wurden. Öftere Wechselfieberanfälle schwächten nach und nach ihre frühere feste Gesundheit, bis sie endlich zur Schwindsucht führten, welcher sie am 03. Juni 1867 durch Blutsturz in meinen Armen erlag.

Nach der im Jahre 1830 erlassenen Kurhessischen Verfassung, infolge deren Bruder Moritz, wie bei Gelegenheit seines kurz geschilderten Lebenslaufs bereits angeführt, zum Abgeordneten der Ständeversammlung der Ritterschaft am Fuldastrom erwählt, ihn aber 1832 der Urlaub dazu als Staatsdiener verweigert wurde, fiel diese Wahl in alle späteren Perioden auf mich, mit Ausnahme der von 1847, wo in Bewegung gesetzte Maßregeln der Regierung die Wahl fast aller freisinnigen Abgeordneten verhinderten. Ehe ich aber auf Schilderung meiner landständigen Wirksamkeit eingehe, fühle ich mich gedrungen, nochmals ausführlicher auf die Verwundung meines guten Bruders Hermann, welche ich schon kurz schilderte, zurückzukommen:

Nachdem sich die Jagd in Kirchheim gehoben hatte, gereichte es mir zu besonderen Freude, jeden Spätherbst Verwandte und Freund zu den dann von mir veranstalteten Treibjagden einzuladen. Auch meine gute Frau freute sich stets darauf, obgleich ja durch Unterbringung und anständige Bewirtung immer große Last erwuchs. Die Abende brachten wir stets heiter, für die Liebhaber mit leichtem Kartenspiel zu. Gewöhnlich veranstaltete ich die Jagden an Hubertus oder doch den ersten Tagen November; jedoch

1833 verzögerte sich die Zeit bis zu Anfang Dezember. Am dritten Dezember hatten wir bei Regenwetter gerade die Kiefern über Reimboldshausen getrieben, in nichts weniger als heiterer Stimmung infolge schlechten Wetters und mit dadurch verursachter schlechter Jagdausbeute. Die Schützen waren um mich versammelt, und nachdem ich die Treiber für ein nun zu beginnendes Treiben instruiert hatte, setzten wir uns in Bewegung. Hermann ging wenige Schritte vor mir, als ich plötzlich einen Lauf meines in gesenkter Richtung auf der Schulter getragenen Gewehres in unbegreiflicher Weise entlud. In demselben Moment sah ich meinen Bruder niedersinken, die ganze Ladung mit Drahtpatronen war ihm in das Knie eines Beines gedrungen. Der Augenblick ist mir lebenslänglich vor Augen geblieben, und noch jetzt, wo ich dies nach 44 Jahren niederschreibe, umfaßt mich tiefer Schauder. Im ersten Augenblick der Verzweiflung hätte ich den anderen Lauf am liebsten auf mich selbst gerichtet. In Begleitung eines Freundes eilte ich auf dem nächsten Weg nach Kirchheim; während mein armer Bruder auf einer hergerichteten Bahre in das Tal von Reimboldshausen und von da auf dem Weg nach Kirchheim zugetragen wurde, wohin ich Wagen zum Weitertransport entgegen sandte. Zum Glück war meine gute Mutter in Kirchheim anwesend, und erinnere ich mir noch deutlich, wie ich derselben nur mit der größten Anstrengung die Trauerkunde mitzuteilen vermochte. Sie suchte mich auf die freundlichste und eindringlichste Weise zu trösten und traf sofort Anstalten zur Aufnahme des armen Hermann, da meiner ihrer Niederkunft nahen Frau gegenüber die größte Schonung beobachtet werden mußte. Sogleich wurde nach einem Wundarzt Erdmann in Hersfeld gesandt, welcher auch bald erschien und bei Hermann eine leider nur oberflächliche Untersuchung vornahm und den Fall, wohl durch Unwissenheit, ziemlich leicht nahm, während sofortige Amputation bei der so schweren Verletzung geboten war, was unzweifelhaft für die Zukunft des armen Hermann besser gewesen wäre. Für mich war die größte Erleichterung, mich unausgesetzt bei Tag und Nacht der Pflege desselben zu widmen. Hermann ertrug mit der größten Geduld und sichtlichem Bestreben, meine Gefühle zu schonen, seine großen Schmerzen.

Bald kamen wir zu der Überzeugung, daß der Arzt den Fall verkenne und viel zu leicht nehme, und bat ich den sehr geschickten Professor Adelmann zu Fulda, zur Untersuchung nach Kirchheim zu kommen. Dies geschah, doch konnte dort nicht die Untersuchung von allen Seiten vorgenommen werden, da es an geeigneten Anstalten dazu fehlte, jedoch erklärte Adelmann, sofortige Amputation sei indiziert gewesen, jetzt sei es jedoch zu spät. Er kehrte nach Fulda zurück und sandte von da einen tüchtigen Chirurgen Bechtold, welcher die fernere Behandlung des Patienten in Kirchheim übernahm, jedoch bald erklärte, um eine Heilung zu bewirken sei ein Transport desselben nach Fulda notwendig, wo alle notwendigen Vorkehrungen dazu vorhanden, er auch jetzt im Stande sei, solche zu ertragen. So wurden denn alle Anstalten zu diesem Transport getroffen. Mittlerweile war meine gute Minna nach Kassel gereist, um sie bei ihrer Lage aus dem Trauerhaus zu entfernen, und wohin mich meine Pflicht als Abgeordneter doch später führen mußte. Eine Tragbahre mit Wachstuchdecke war angefertigt worden; diese war so eingerichtet, daß acht Mann sie zu tragen hatten, wozu als Ablösung eine gleiche Zahl gestellt wurde. Meine gute Mutter reiste voraus, um alles in einem gemieteten Logis zur Aufnahme vorzurichten. An einem Wintermorgen zeitig traten wir den Marsch

an, welchen über die Berge von Fulda nach dem Haunetal zurückzulegen die Träger vorzogen trotz des schwierigen Terrains statt des viel weiteren Weges über Hersfeld. Mit sehr schwerem Herzen trat ich selbst den Marsch an, in stetem Zweifel, ob das Unternehmen glücken würde. Ich ging den Trägern einige Schritte voran, als dieselben kurz vor Beginn des Berganstieges die Tragbahre niedersetzten, nach mir rufend. Von tödlichem Schrecken ergriffen eilte ich zurück und fand zu meiner unaussprechlichen Freude, daß Hermann nur etwas zu genießen begehrte. Auch die Berge wurden glücklich überschritten, und kamen wir gegen Abend in Hünfeld an, wo sich große Schwierigkeiten zeigten, da die Tragbahre zu lang war, um sie in einem Zimmer irgendeines Gasthauses unterzubringen; so mußten wir sie in einem Gang zwischen zwei geheizten Zimmern stehen lassen. Des anderen Tages erreichten wir bei guter Zeit Fulda, wo ich nochmalige Ängste auszustehen hatte, indem in dem Logis, nachdem die Traghölzer abgeschnitten, die Bahre in ein oberes Stockwerk aufgewunden werden mußte. Indessen, auch dies ging, Dank sei Gott, glücklich von statten und Hermann[GWR 7] wurde in eine Bettstelle gebracht, woran sich eine Maschinerie zum Aufwinden befand, und so die Möglichkeit gegeben war, die Wunde von allen Seiten zu untersuchen, wobei sich die Wahrheit des Ausspruches herausstellte, wie sofortige Amputation geboten gewesen, dieselbe aber jetzt zu spät sei.

Nachdem ein auf der unteren Seite des Beines hervorstehender zerschmetterter Knochen abgekneipt worden war, schritt die Herstellung, soweit überhaupt möglich, rascher voran. Ich konnte dieselbe nicht vollständig abwarten, sondern mußte die Pflege Hermanns der guten Mutter allein überlassen, da mich meine Pflicht auf den Landtag rief. Die natürlich sehr hohen Kosten bestritt, wie bei allen solchen Gelegenheiten gewöhnlich, der Edelmut des guten Onkels Ernst. Der gute Hermann wurde zwar soweit hergestellt, daß er an Krücken gut gehen, selbst wieder Treibjagden beizuwohnen vermochte, jedoch zeigte sich doch später Amputation geboten.

Ich wende mich nun zu meiner Tätigkeit als Mitglied der Ständeversammlung, in welche ich natürlich als Neuling eintrat. Bald jedoch machte ich mich mit dem Geschäftsgang vertraut und erwarb mir das Vertrauen meiner Kollegen. Blicke ich noch jetzt auf meine Tätigkeit zurück, darf ich mir das Zeugnis geben, daß ich stets die beschworene Verfassung und den Ständeeid, und nur diese im Auge hatte. Mein Glaubensbekenntnis war daneben ein gemäßigt liberales, nie war ich Parteimann und erhielt mir in allen Lagen meine Unabhängigkeit. Bald wurde ich in die bestellten Ausschüsse, zumal die wichtigeren, namentlich den Budgetausschuß gewählt, und in diesem zum Referenten über den Militäretat bestellt.

Dieser hatte eine übertriebene Höhe ohne wahren Nutzen und war eigentlich nur ein Spielwerk in den Händen des Regenten. Ich trug pflichtmäßig um Verminderung der Kosten an, ohne jedoch dabei je die Pflichten aus den Augen zu lassen, welche das Land in Gemäßheit der Bundesakte zu erfüllen hatte. Dadurch zog ich mir jedoch den Haß des Mitregenten, späteren Kurfürsten zu. Ein weiterer Grund war, daß ich zum Mitglied des Ausschusses erwählt wurde, welcher über die in Anregung gebrachte Anklage auf Verfassungsverletzung des damaligen Ministers Hassenpflug zu berichten hatte, und die

Anklage beschloß. Ich wurde von dem Ausschuß als Referent dieser Angelegenheit bestellt, da die in denselben gewählten Juristen, aus Furcht, ihre Staatsstelle zu verlieren, zu feige waren, um das Referat zu übernehmen, und öffentlich vorzutragen, welches für sie, da hauptsächlich juristische Fragen in Betracht kamen, weit passender als für mich, einen völligen Laien in der Jurisprudenz war. Ich erklärte dies zwar im Ausschuß, mich jedoch bereit erklärend, das Referat zu übernehmen und, so gut ich vermöge, in öffentlicher Sitzung zu vertreten, sollte der Ausschuß auf seinem Beschlusse, mir das Referat zu übertragen, beharren, obgleich ein jeder einsehen müsse, daß man mich nur vorschiebe, um sich selbst zu decken. Der Ausschuß beharrte auf seinem Entschlusse. Mehrere Male zeigte der Kurfürst seinen Haß mir direkt gegenüber, so durch wahrhaft maliziöse Fragen vom bösesten Herzen Zeugnis gebend, so: "Nicht wahr, Sie haben Ihren Bruder geschossen? – "Nicht wahr, Sie haben fünf Söhne?", am empfindlichsten aber durch die wahrhaft niederträchtige Zurückweisung jeden Vorschlags zu dem durch Befähigung und Dienstalter vollkommen verdienten Avancement meines Bruders Hermann, da er wußte, daß er mich dadurch am tiefsten kränke. Aber auch noch in direkterer Weise betätigte der Kurfürst seinen persönlichen Haß gegen mich. Den Stiften Kaufungen und Wetter standen drei von je überlebenden Obervorstehern gewählte Obervorsteher vor. Vor Erlaß der Verfassung erließ der damalige Kurfürst durchaus eigenmächtig eine Verfügung, daß ein Teil der Stiftseinkünfte den Töchtern gewisser Ordensritter zufallen sollte, und aus der Zahl derselben bestellte er bei der nächst eintretenden Vakanz einen Obervorsteher, die Ritterschaft daher nur noch zwei. Die Verfassung beseitigte diese Ungerechtigkeit, und durch Übereinkunft mit der Regierung wurde bestimmt, daß bei Eintreten der Vakanz diese durch gemeinschaftliche Wahl der überlebenden Obervorsteher und der Ständedeputierten besetzt werden sollte. Nun bestand eine Vakanz bei Rücktritt des aus der Zahl der Ordensritter bestellte Obervorstehers, und das Wahlkollegium trat zu dessen Besetzung zusammen. Ich habe schon einige Zeit als Ständedeputierter die Stelle als Obervorsteher versehen und bei der Wahl kam ich nebst dem Kaminer Herrn von Eschwege in Betracht. Dieser hatte zwar ein paar warme Fürsprecher im Kolleg, hatte aber verstanden, sich im allgemeinen so verhaßt zu machen, daß die Wahl mit großer Majorität auf mich fiel. Diese wurde dem Kurfürsten zur Bestätigung vorgelegt, quasi nur pro forma, da ihm ein wirkliches Recht zur Verwerfung gar nicht zustand. Jedoch wußte er mit Beihilfe Hassenpflugs einen Vorwand dafür zu finden, verwarf die Wahl und bestellte völlig eigenmächtig Eschwege als Obervorsteher, dem sich die Ritterschaft auch schließlich fügte, um nicht den eben erlangten Vertrag in Gefahr zu bringen.

Bei den Wahlen zur Ständeversammlung 1846 gelang es den Machinationen der Regierung, die Wiederwahl bisheriger freisinniger Abgeordneten zu hintertreiben, darunter auch die meinige. Jedoch nach Ausbruch der Französischen Revolution 1848 gab sich die Regierung – respektive – das neu bestellte Ministerium selbst große Mühe, jene Abgeordnete wieder in die Kammer zu bringen, ohne genötigt zu sein, zur ihrer Auflösung zu schreibt[GWR 8], befürchtend, die Wahlen möchten bei der damaligen Stimmung im revolutionären Sinne ausfallen. So wurde der Landgraf von Barchfeld veranlaßt, mich zu seinem Vertreter in der Kammer zu bestellen und trat ich als solcher Anfang April 1848 an. Mein lieber Freund und Vetter Obervorsteher von Trott war Präsident

der Kammer, legte aber glaubend, er genieße nicht das volle Vertrauen derselben, sein Amt nieder. Bei der Neuwahl fiel dieselbe neben zwei weiteren Kandidaten auf mich und sonderbarer Weise ernannte mich der Kurfürst zum Präsidenten, vielleicht doch überzeugt, daß ich nie aufgehört hatte, ein treuer Anhänger der angestammten Fürsten zu sein.

Mit nicht leichtem Herzen trat ich mein Amt unter den damaligen recht schwierigen Verhältnissen an, doch gelang es mir durch stets gezeigte völlige Unparteilichkeit neben Festigkeit bei Leitung der Diskussionen mir allgemeines Vertrauen zu erwerben. Für mich war die Leitung der Verhandlungen, da die Zeit drängte, indem die verfassungsmäßige Wirksamkeit der Kammer mit Ende Oktober endete, um so mehr doppelt anstrengend, da kein Vizepräsident mir zur Seite stand, weil dieser zugleich Mitglied des Frankfurter Parlamentes und in solchem abwesend war.

In dem der Kammer nun offenstehenden Zeitraum kamen die wichtigsten, großenteils auch jetzt noch in Wirksamkeit stehenden Gesetze mit einer beinahe an Verletzung der Geschäftsordnung streifenden Eile zustande; doch gab ich mir alle Mühe, bei Leitung der Verhandlungen wenigstens deren Grenzen nicht zu überschreiten. Ich will hier nur das welches die Aufhebung der Lehne, nicht aber nur der bäuerlichen, sondern auch der Staatslehne anordnete, nennen, welches Gesetz der Kurfürst unter anderen Verhältnissen nie genehmigt hätte. Dadurch erlangte der Adel, speziell die Ritterschaft erst das freie Eigentum seiner Güter und zwar mit Verhütung jedes Aktes von Ungerechtigkeit, da es den Familien freistand, durch Errichtung von Fideikommissen Versicherungen gegen das Zerreißen der Güter zu treffen, sollten sie dies in ihrem Interesse liegend halten. Ich wandte allen meinen Einfluß an, gerade dieses Gesetz zustand zu bringen, erfuhr aber dafür manchen harten Vorwurf von Standesgenossen, bin aber überzeugt, daß sie mir bald volle Gerechtigkeit widerfahren ließen.

Mit Widerwillen wirkte ich dagegen für Zustandekommen des das Jagdrecht aufhebenden und dasselbe auf den Grundbesitz übertragenden Gesetzes, allerdings wohl mit, weil ich die nachteiligen Folgen für den Bauer zu klar einsah, um so mehr, da sich bei damaligen Verhältnissen keine notwendigen Schranken der Ausübung des Jagdrechtes durchsetzen ließen. Ein Gesetz war aber notwendig, um wenigstens der in dieser Beziehung immer mehr einreißenden Gesetzlosigkeit Schranken zu setzen.

Noch während der für mich so angreifenden Sitzungen des Landtages kam der Entschluß zur Auswanderung nach Amerika immer mehr zur Reife, auf dessen Gründe ich zurückkomme[GWR 9], und freute mich herzlich, als das Ende derselben erreicht war, um mich im Schoße meiner Familie, die nach Kassel übergezogen war, zu erholen. Da wurde es mir plötzlich zur Pflicht gemacht, eine Wahl des Bezirks Kassel in dem Frankfurter Parlament, dessen Vertreter ausgetreten war, anzunehmen, und durch erlangte Popularität meinen Namen als Gegenkandidaten des von der Demokratischen Partei aufgestellten, sehr einflußreichen öffentlichen Redners Kellner – des Herausgebers der berühmten Hornisse, in die Waagschale zu legen. Ich wurde wirklich erwählt und mußte schon im November nach Frankfurt reisen, wo ich gänzlich erschöpft und abgespannt

ankam und außerstande, mich an den Verhandlungen zu beteiligen. Nun kam gerade da mein Entschluß der Auswanderung zur Reife, da ich mich aus eigener Beobachtung überzeugte, daß man die Zeit der wirklichen Macht des Parlamentes ungenutzt hatte verstreichen lassen, teils aus Schuld der in großer Zahl anwesenden gelehrten Professoren, nur unerreichbaren Idealen nachjagend, teils aus Schuld der sogenannten Republikanischen Partei, welche in einem Lande ohne Republikaner – sie selbst eingeschlossen – eine Republik gründen wollten. Meine Freunde, namentlich Eberhard, welche mich gern im Vaterland zurückhalten wollten, suchten dies dadurch zu erreichen, daß mich letzterer – Minister des Inneren – dem Kurfürsten wiederholt als Distriktsdirektor in Hersfeld vorschlug, jedoch um ebenso oft einen Abschlag zu erfahren, obgleich der Kurfürst sich damals in der Regel den Vorschlägen des Ministeriums fügen mußte. Hieraus ging deutlich der tiefe Haß des Kurfürsten hervor, hätte dies noch eines neuen Beweises bedurft, das aber dieser Haß seinen praktischen Ausdruck finden würde, sobald die Reaktion eingetreten, welcher jeder nicht Verblendete damals schon voraussehen konnte, war nicht zu bezweifeln. Auch der Umstand, daß mich das Stift Wallenstein in Fulda zum Koadjutor seines Direktors im Sommer 1848 gewählt hatte, konnte an meinem Entschluß um so weniger etwas ändern, da mit der Stelle des Direktors kein hoher Gehalt verbunden, überdem der Direktor, Graf Schulenburg, nur wenig älter, als ich war. So trat ich im Februar 1849 aus dem Parlament, um die notwendigen Vorbereitungen zur Auswanderung zu treffen.

Mein Hauptgrund für die Auswanderung war die Zukunft meiner fünf oder damals sechs Söhne, welche voraussichtlich auch nicht geringste Aussicht auf Anstellung im Hessischen Staatsdienst hatten, die damaligen äußeren Verhältnisse aber kaum den Weg für einen anderen Beruf dort für sie offenließen zum Fortkommen im Leben. Übrig geblieben würde daher nur gewesen sein, zu versuchen, dieselben in den Dienst fremder Staaten zu bringen, hauptsächlich in den Militärstand mit geringer Aussicht auf Erfolg, oder sie nach und nach den sehr zweifelhaften Erfolgen eigener Auswanderung zu überlassen ohne den väterlichen Schutz, während meine pekuniären Mittel, sie auf beiden Wegen zu unterstützen, nur gering waren. Ein anderer damals, ich gestehe es, für mich sehr schwerwiegender Grund für die Auswanderung war ein hoher Grad von Erbitterung gegen die Bewohner unserer Kirchheimer und Frielinger Güter. In dem vorausgegangenen 1847er Notjahr hatte ich unter Beistand meiner guten Brüder alles in meinen Kräften stehende getan, um die Not der Gutsangehörigen zu mildern, durch Ankauf von Kartoffeln zur Verteilung unter Arbeitsunfähige und Beschaffung von sonst unterbliebener Arbeit an die dazu Fähigen im Bewußtsein, daß diese Unterstützung für die Beteiligten selbst besser sei, als direkte Almosen. Flachs wurde angekauft und solcher den Weibern zum Spinnen gegeben, wodurch meiner Frau viel Arbeit und daneben Verdruß durch Betrug erwuchs, so wie auch ich mehr Undank als Dank erfuhr. Stets, auch schon früher hatte ich die Leute immer gern und mit Rat und Tat unterstützt, welches Zeugnis ich mir geben darf. Als nun nach dem Frühjahr 1848 die bäuerliche Bevölkerung, aufgestachelt durch schlechte Personen, den Zeitpunkt gekommen glaubte, von der Gutsherrschaft die Aufgabe wohl erworbener Rechte mit Gewalt erpressen zu können, rückten die Gutsangehörigen, besonders von Frielingen und Willingshain unter Anführung des damaligen nichtswürdigen Bürgermeisters Schmidt, während meiner

Abwesenheit zu Kassel meiner armen Frau in hellen Haufen vor das Haus, um von ihr solches Aufgeben zu verlangen, ohne daß die Bewohner Kirchheims solche Zuzüge verhinderten. Das Wild wurde allenthalben niedergeschossen, und aus dem Hause gegenüber gelegenen Weihrain erschallte all abendlich ein Pelotonfeuer. Dadurch war mein Gemüt erbittert worden, es dünkte mir unmöglich, ferner unter solchen Menschen wohnen zu können, und so kam mein Entschluß der Auswanderung zur Ausführung. Anfangs März reiste ich nach Kirchheim, um von Hermann Abschied zu nehmen und meine Adininistrationsrechnungen zum letzten Abschluß zu bringen. Nachdem der schmerzliche Abschied von Hermann in Frielingen vorüber war, machte ich meinem geliebten Wald den letzten Besuch. Ich ging den Kittelberg hinauf und überschaute von der Trift zwischen Haselkopf und Dorndelle die Reviere vom Aulsrück und Erzenberg, wo ich meine letzten Nadelholzkulturen angeordnet hatte. Von tiefem Trennungsschmerz ergriffen warf ich mich laut weinend zu Boden.

Meine guten Brüder gewährten mir, nachdem mein Entschluß einmal unwiderruflich feststand, in gewohnter großmütiger Weise die Mittel zur Auswanderung. Durch das Lehenablösungsgesetz war für die Familie ein Lehnkapital von 36.000 Talern dem Staate gegenüber flüssig geworden, die Hälfte davon fiel mit 18.000 Talern der Kirchheimer Linie zu, und diesen Betrag traten die Brüder an mich ab, welchen ich in Ver. Staaten-Obligationen umsetzte und mitnahm. Die direkten Reisekosten für mich und meinen Sohn Ernst, welcher mich begleitete, lieferten Ersparnisse. So schifften wir uns denn in der zweiten Hälfte März 1849 auf dem Ver. St. Dampfboot Hermann – dem einzigsten damals mit einem zweiten Boot zwischen Bremen und New York laufenden – ein und landeten nach einer glücklichen Reise zu New York, wo ich den damaligen Hessischen Konsul Faber meine Staatspapiere und noch einige Wechsel übergab und sofort die Weiterreise nach Ohio, versehen mit Briefen von Faber, an dessen dort als Farmer am Eriesee lebenden Bruder Carl und an einen zweiten Bruder Theodor, angeblich in der Nähe von Elyria wohnend, antrat. Denn, mich dort niederzulassen, hatte ich beschlossen auf Rat und Beistand der Brüder Faber hoffend. Mitten auf dem schönen Eriesee, auf welchem wir in einem prächtigen Dampfer unsere Weiterreise von Buffalo nach Cleveland/Ohio fortsetzten, gratulierte mir Ernst am 22. April 1849 zu meinem 50. Geburtstag. Von Cleveland reisten wir alsbald weiter nach dem benachbarten Städtchen Elyria, wo ich Th. Faber finden sollte. Aus Unbekanntschaft mit der englischen Sprache vermochte ich denselben nicht zu ermitteln, und wurde nach Carl Faber's Farm verwiesen. Wir fanden denselben gerade im Bau eines neuen Steinhauses begriffen, anstatt eines sogenannten kleinen Frame = hölzernen Hauses, wo uns Faber aufnahm und wir auf dem Boden unter herabhängenden Schafschinken unsere erste Nacht zubrachten. Des anderen Tages fuhr Faber mit mir nach Elyria zurück und fand ich dort freundliche Aufnahme in dem Hause von Theodor Faber gegen wöchentlich zu zahlende Miete und Beköstigung. Von dem Wunsche beseelt, recht bald wieder mit meiner in Kassel zurückgebliebenen Familie vereinigt zu sein, ersuchte ich Th. Faber, mir zum Erwerb einer Farm behilflich zu sein, da ich damals nur in Betrieb von Landwirtschaft ein Mittel zum Unterhalt erblickte, obgleich ich davon nichts verstand. Damals erfuhr ich auch das demütigende und niederdrückende Gefühl der Hilflosigkeit, gleich wie wohl die meisten, zumal den gebildeten Ständen angehörigen Einwanderer,

verursacht durch Unkenntnis der herrschenden Sprache, obgleich in der Gegend, wo ich jetzt lebte, viele Deutsche wohnten, welche ich leider aber erst zu spät kennenlernte, dann aber durch das Versetztsein in ganz neue, unbekannte Lebensverhältnisse.

Man hat dann alles Vertrauen in sich selbst verloren und pflegt sich ängstlich, aber doch mißtrauisch, allerdings nur zu oft gerechtfertigt an einen Landsmann zu halten, von demselben Rat und Beistand hoffend. So erging es mir mit Th. Faber, der zwar mehrere Farmen in der Nähe in Vorschlag brachte, wenn ich ihn jedoch aufforderte, mit den Besitzern Rücksprache zu nehmen und mir die Verkaufsbedingungen mitzuteilen, stets Verzögerung eintreten ließ, offenbar mit der Abschied, mich zu veranlassen, die Farm seines Bruders Carl mit den neuen Steinhaus oder doch einen Teil derselben zu kaufen, welches nicht zu tun ich indessen von Anfang an fest entschlossen war, teils, weil mir dies zu großes Kapital weggenommen hätte, teils aus Mißtrauen, einem vorgefaßten Plan und Übervorteilung zum Opfer zu fallen. Als Theodor einsah, es sei vergebens, mich für diesen Plan zu gewinnen, ging derselbe offenbar darauf aus, nicht allein von mir, sondern auch von dem Verkäufer ein möglichst hohes, sogenanntes Bonus für sich herauszuschlagen. Eine schöne, dicht am Eriesee gelegene Farm in Besitz eines Amerikaners in gesunder Lage sagte mir besonders zu, und ich ging mit Theodor zu dem Besitzer, der offenbar zu verkaufen wünschte, um den Kauf abzuschließen. Hierbei bemerkte ich obgleich nur wenige englische Worte verstehend, daß Theodor diesen Zweck so zu erreichen wünschte, um dabei noch etwas für sich herauszuschlagen, daher nicht bot, was zu zahlen ich mich bereit erklärt hatte, und zerschlug sich so der Handel. Darüber erbittert und von dem Wunsch beseelt, jedenfalls eine Heimat zu erwerben, damit meine Familie mir folgen könne, ging ich nach einer unfern von Carl Faber liegenden kleineren Farm, deren Besitzer zu verkaufen dringend wünschte, wie ich wußte, und beging die Torheit, ja Dummheit, mit ihm zu einem allerdings niedrigen Preis abzuschließen, obgleich die ungesunde Lage nicht zu verkennen war, ja ich eine Bewohnerin am Fieber niederliegend fand. Überdem war die Farm viel zu klein – unter tausend ???? (Maß ist nicht lesbar), um darauf mit Nutzen Ackerbau treiben zu können. So traf ich sogleich Anstalt zum Anbau eines größeren Holzhauses an einem vorgefundenen kleinen und schrieb meiner Frau dringend, nun mit den Kindern zu kommen. Sie folgte sofort dieser Einladung und gab mir dadurch einen neuen und den größten Beweis ihrer großen Liebe zu mir und des Vertrauens, das sie in mich setzte, obgleich wohl bewußt des großen Opfers, das sie brachte und der harte Entbehrungen, welche ihrer harrten. Diese blieben auch nicht aus, wie ich hier gleich bemerken will, da sie während der Führung der Farmwirtschaft eigenhändig schwere, nie gewohnte Arbeiten verrichten mußte, da ich nur eine, noch dazu schlechte Magd halten konnte, so daß meine arme Frau nicht selten den Schlaf halber Nächte opfern mußte. Von Faber, der Elyria zu verlassen wünschte, mietete ich dessen dortige Wohnung bis zum Frühjahr, da wir die Farm erst dann beziehen konnten. Im August traf meine gute Minna ein, sehr angegriffen von der weiten Reise und der Pflege von Moritz, der kurz zuvor von einer schweren Krankheit genesen war, und wir bezogen jene Wohnung, die jüngeren Kinder die öffentliche Schule besuchend in Elyria, Ernst auf einer Farm bei einem amerikanischen Farmer in der Nachbarschaft, um die Arbeit zu lernen; Moritz trat in eine Handlung in Elyria ein und Wilhelm, welcher viel mechanisches Geschick zeigte, ging zu einem Schreiner.

Im Frühjahr bezogen wir dann die Farm, wohin auch Ernst uns folgte, auch engagierte ich neben einem Knecht den früher Trott'schen Verwalter Strüver, der ebenfalls ausgewandert war. Moritz blieb noch kurze Zeit in Elyria, ging dann nach Cleveland, wo er bald dann in New York einen Platz fand. Wilhelm fand einen solchen bei einem Schreiner in unserer Nachbarschaft. Bald überzeugte ich mich, daß die Farm viel zu klein sei, um mit irgendwelchem Nutzen Ackerbau zu treiben. Eine angelegte Fabrik, um aus Branntwein Essig zu bereiten, bewährte sich nicht, da zu viel Obstessig auf den Markt kam. Da kaufte ich eine angrenzende kleine Farm und später noch eine weitere zu allerdings kleinen Preisen. Leider fand zu dieser Zeit gerade ein großer Insektenschaden an dem Weizen statt. Daneben waren alle Getreidepreise so niedrig, daß die Farm offenbaren Schaden brachte. Erst nachdem ich meinen Viehstand durch Zukauf und Nachzucht vermehrt und sich auch die Fruchtpreise zu heben begannen, wurden die Aussichten besser. Da sah ich mich aber gezwungen, die Farm zu verlassen. Selbst schon im ersten Jahr traten in der Familie Wechselfieberanfälle auf, sowohl bei meiner lieben Frau, als auch bei den Kindern, die sich später noch vermehrten, ich allein nur blieb davon verschont. Im dritten Jahr starb an wiederholten Anfall mein lieber jüngster Sohn Reinhard, und auch meine in Black River geborene Tochter Clotilde wurde davon ergriffen, sowie die Konstitution meiner Frau immer mehr angegriffen. In diesen Krankheitsfällen hatte ich den Beistand unseres ebenfalls aus Niederaula ausgewanderten Hausarztes Dr. Scheur, der sein Urteil abgab, die Fieberanfälle würden sich bei längerem Verweilen auf der Farm noch stets vermehren und immer nachteiligere Folgen haben.[GWR 10] Dabei hatten wir bei der feuchten Lage furchtbar unter Moskitos zu leiden, die im Sommer keine Nachtruhe gestatteten, so daß oft schon nach wenigen Stunden die ganzen Hausgenossen sich nach und nach auf der Treppe einfanden.

Da mußte ich mich schweren Herzens bei nach und nach abgenommenem Kapitalvermögen entschließen, einen anderen Wohnort aufzusuchen. Ich fand solche in einem schön gelegenen Haus in Elyria in gesunder Lage und einen ca. 3 Acres großen Garten und schloß den Ankauf zu 3.000 Talern ab. Die Farm versuchte ich zu verkaufen, was jedoch nicht gelingen wollte. Hierauf ergab sich Gelegenheit, dieselbe dem Anschein nach nicht schlecht zu verpachten an einen aus Schweden eingewanderten Mann, der nicht ohne Mittel zu sein schien. Wir hatten einen Vertrag abgeschlossen, daß der Pächter mein sehr gutes Viehinventar nach Taxatur übernehmen solle, und wo jeder Teil einen Taxator zu bestellen hatte. Ich tat dies in Person eines Amerikaners, der als tüchtiger Farmer bekannt war. Gerade dieser taxierte das damals zu guten Preis stehende Vieh weit unter Wert, so daß ich großen Schaden erlitt. Vielleicht aus dem bei Yankees nicht selten platzgreifenden Grund, ich sei vermögend, der Pächter aber nicht, deshalb müßte letzterer begünstigt werden, vielleicht hatte aber auch Bestechung stattgefunden. Mein Ernst wohnte dem Taxatum bei und verkündeter mir in tiefster Entrüstung von Zeit zu Zeit das Resultat mit tränenden Augen. Aber auch schon nach Ablauf des ersten Pachtjahres zeigte sich der Pächter als ein Lump, und ich war froh, ihm die Pacht abnehmen und an einen Nachbarn, natürlich mit Verlust verpachten zu können.

Hier muß ich, ehe ich fortfahre, eines für mich sehr schmerzlichen Todesfalls gedenken. Meine gute Mutter hatte einige Jahre vor meiner Auswanderung eine schwere Krankheit überstanden, an deren Folgen litt dieselbe schon bei meiner Abreise an Gedächtnis- und allgemeiner Körperschwäche. Am 13. August 1851 starb dieselbe zu Hanau, wohin sie schon vor Hermanns Verheiratung gezogen war, um diesem beizustehen. Wie kann ich der vortrefflichen Frau genug danken für die zärtliche Liebe, die sie mir gleich allen ihren Kindern stets zeigte, so wie für ihre vortreffliche Erziehung und gegebenes Beispiel zu Nachahmung. So zogen wir denn nach Elyria, Ernst anfänglich mit uns, Rechtsstudien bei einem Anwalt, wie hier gewöhnlich beginnend, ging aber nach Pearia-Illinois, wohin Strüver gezogen war, um mit diesem zusammen ein kleines Kaufmannsgeschäft zu beginnen. Moritz hatte eine ziemlich gute Stelle in New York. Wilhelm, der gleichfalls häufig an Wechselfieberanfällen gelitten hatte, folgte uns nach Elyria und trat dort als Kommis in ein Geschäft, sowie auch Fritz und Carl fanden ein Unterkommen in einer Apotheke, alle gegen zwar nur geringes Salair, wie hier gebräuchlich, in dem sogenannte Lehrlinge nicht nur kein Lehrgeld zahlen, sondern alsbald Vergütung nach Verhältnis ihrer Dienstleistungen erhalten.

Ich beschäftigte mich mit Gartenarbeit, was zur Kräftigung und Erhaltung meiner Gesundheit wesentlich beitrug. Ein ehemals preußischer Beamte Quentin, ein tüchtiger intelligenter Geschäftsmann, war nach Milwaukee gegangen und machte ein Geschäft daraus für sich selbst und Bekannte gegen Provision, Geld gegen hier gebräuchliche hohe Zinsen, bis zu 12 % auszuleihen oder auch Geld auf Spekulation durch An- und Wiederverkauf anzulegen. Ich trat mit demselben in Geschäftsverbindung, sowohl für mich, wie auch im Interesse meiner Brüder, und schlugen einige glückliche Spekulationen ein, wodurch es mir gelang, meine sehr zurückgekommenen Vermögensverhältnisse wieder aufzubessern.

Meine Gesundheit, obgleich vom Fieber verschont, hatte sehr gelitten, und namentlich mein geistiger Zustand verursachte mir oft unsägliche Pein. Mein früher so festes Nervensystem war in hohem Grade angegriffen, schon durch die letzten Aufregungen in Deutschland, die sich hier noch steigerten. Ich versuchte, meinen Zustand auf geistigem Wege zu bekämpfen und wendete mich um Hilfe in heißem Gebet an Gott. Wesentlich unterstützt wurde ich hierbei durch aufmerksames, fleißiges, wiederholtes Studium von Zschokkes "Welt- und Gottanschau" (21. Band von Zschokkes' Selbstschau), ein tief religiöses und daneben philosophisches Werk, das noch jetzt nicht von meinem Tisch kommt. Dadurch gelangte ich erst zu festen auf innerste Überzeugung gegründete religiöse Ansichten, zwar nicht gestützt auf die Lehrsätze einer der vielen, namentlich der hiesigen christlichen Kirchen, die ja alle nur Menschenwerk, abweichend genug von einander sind, wohl aber auf die herrlichen Lehren, die unser Erlöser selbst erteilte. Mein Kampf wurde schon binnen Jahresfrist von Sieg gekrönt, nicht nur mein geistiges Leiden, sondern auch die unausbleiblichen Einwirkungen desselben auf das körperliche Befinden verschwanden.

Im Jahr 1856 machte mir Quentin den Vorschlag, eine Farm von ca. 35 Acres ganz in der Nähe von Milwaukee zu kaufen, worauf bisher eine Baumschule im Gang war,

die er im Wege von Kommission zu verkaufen hätte, zwar zum hoben Preis von $ 400 pro Acre, welchen Preis derselbe aber dennoch als sehr vorteilhaft schilderte, indem sich nicht allein der jetzt zu zahlende Preis sehr bald bedeutend lieben müsse, sondern dieselbe auch den großen Vorteil hätte, mehreren meiner Söhne vorteilhafte Beschäftigung zu verschaffen, da dieselbe einesteils zur Baumanzucht sehr geeignet sei, andernteils aber nahezu unerschöpfliche Tonlager bester Qualität enthalten, geeignet zur Fabrikation der weit berühmten Milwaukee Backsteine von goldgelber Farbe. Mein Sohn Ernst, der von Pearia nach Milwaukee übergezogen war und dort gemeinschaftlich mit einem jungen Mann eine kleine Backsteinfabrik betrieb, unterstützte diesen Vorschlag. Da sich nun bei Wilhelm bei seiner sitzenden Lebensart in einem Laden und Absperren von frischer Luft fortwährende Fieberanfälle einstellten, die ich durch Klimawechsel und gesunde Lebensart zu bessern hoffte, Ernst auch dann Backsteine mit besserem Erfolg zu machen hoffte, so zog ich den Vorschlag in Erwägung, obgleich das Ankaufskapital meine Vermögensverhältnisse weit überstieg, hoffend, meine Brüder würden mich mit Darlehen unterstützen, worin ich mich auch nicht täuschte, und ging endlich darauf ein, worauf sofort ein Anbau an ein kleines Haus auf der Farm, das für uns viel zu klein war, vorgenommen wurde.

Meine Farm in Black River und mein Haus in Elyria verkaufte ich allerdings wieder mit nicht unerheblichem Verlust, war aber doch froh, sie nur los zu werden. Nachdem der Anbau an das Haus beendet war, zog ich im Herbst 1858 mit meiner Frau und dem jungen Teil der Familie hierher nach Milwaukee, nachdem Moritz, der soeben von einer Reise nach Deutschland zurückgekehrt war, nebst Wilhelm und Fritz schon vorangegangen waren. Ersterer fand durch Quentin's Empfehlung eine Stelle als Gehilfe bei dem neu gewählten Stadtschatzmeister. Wilhelm mit einem ihn begleitenden Gärtner bezog das kleine Haus und traf Anstalt zur Gärtnerei, Fritz aber fand Unterkommen in einer deutschen Handlung.

Der von Quentin so hoch gepriesene Ankauf zeigte sich leider als große Enttäuschung, teils wohl allerdings, weil im folgenden Jahr 1857 eine der hier so häufigen Geschäftsstockungen eintrat und auf Aufhören jeder Spekulation im Grundeigentum, im Gegenteil auf Entwertung desselben einwirkte. Indessen war der Preis, den ich zahlte jedenfalls viel zu hoch, denn jetzt nach Ablauf von 20 Jahren würden keine $ 400 pro Acre der Farm zu erlangen sein, obgleich ich im Laufe der Zeit viele wertvolle Meliorationen darauf vornahm. Freilich bin ich jetzt nicht mehr im Besitz derselben, sondern wohne zur Miete in der Stadt, da mich die täglichen weiten Wege in dieselbe sehr anstrengten, ich außerdem gezwungen war, einen Teil derselben meinem Sohn Ernst, allerdings zu geringem Preis, aber doch den Verhältnissen angemessen, den Rest später an meinen Dritten zu verkaufen, da ich die Farm nicht selbst bearbeiten konnte, das Pachtgeld aber nach Abzug der hohen Steuern zu gering war, um davon leben zu können. Obgleich ich nun durch diesen Ankauf schwere Verluste erlitt, so habe ich denselben und den dadurch nach hier veranstalteten Überzug doch nicht bereut, da er Veranlassung gab, daß meine Söhne mir hierher folgten und dadurch den Grund zur Selbständigkeit und bescheidenem Wohlstand legten. Ich unterstütze sie dabei, soviel mir meine Mittel erlaubten, das meiste aber verdanken sie sich selbst, da sie alle mehr

oder weniger "self-made men" sind. Am meisten zum Glück schlug der Ankauf der Farm wohl für Ernst aus, der darauf eine Backsteinfabrik errichtete, Geld gewann, das er später durch glückliche Spekulationen vermehrte und wohl jetzt in der besten, völlig unabhängigen Lage von allen seinen Brüdern ist.

Nicht lange nach unserem Überzug hierher wurde meine arme Frau von einer gefährlichen Krankheit ergriffen, die mich das Schlimmste befürchten ließ. Zwar erhielt uns dieselbe Gottes Gnade, die Krankheit legte leider den Grund zu einem Herzleiden bei derselben, das von Zeit zu Zeit recht beängstigend auftrat, zwar gewöhnlich durch kalte Umschläge auf die Herzgegend und warme Fußbäder für einige Zeit beseitigt wurde, endlich aber doch das Ende meiner treuen Gattin herbeiführte, worauf ich später zurückkomme.

Als nach Ausbruch des Bürgerkrieges Präsident Lincoln seine erste Proklamation für Freiwillige 1861 erließ, folgten Fritz und Carl, wie wohl noch sehr jung, derselben und traten als Gemeine in ein hier errichtetes Infanterieregiment ein, welches M'Clellans zugeteilt wurde und dem Feldzug nach Richmond beiwohnte. Beide wurden bald Unteroffiziere und als solche wurde Carl bei Garrtown in den Arm verwundet und kehrte zurück. Wieder hergestellt wurde er als Captain in ein anderes Regiment gestellt, avancierte zum Major und kommandierte als solcher das Regiment in den schweren Schlachten in Pennsa, nahm kurz vor Ende des Krieges seinen Abschied und übernahm hier von seinen Ersparnissen und einem kleinen Darlehen von mir eine Apotheke, blieb auch später in diesem Fach, heiratete die Tochter eines Doktor Rosenthal, mit der er eine glückliche Ehe lebte und jetzt eine Großhandlung in Apothekerwaren hier gemeinschaftlich mit seinem Schwiegervater und Bruder Ernst hat. Fritz machte die ganze Kampagne von Richmond mit, avancierte zum Premierleutnant und wohnte als solcher allen späteren Schlachten bei bis zum Rücktritt M'Clellans, nahm dann, von einer ihm leider innewohnenden Veränderungslust getrieben, seinen Abschied, gerade als sein Avancement zum Captain bevorstand und kehrte hierher zurück, trat indessen bald darauf als Captain in ein neu errichtetes Regiment ein und machte die Kampagne im Süden als Major mit, wo er sich infolge des schlechten Klimas eine Krankheit, zuletzt Magenkrampf zuzog, und kehrte endlich erst monatelang nach Beendigung des Krieges aus Texas mit dem Regiment zurück. Beide Brüder genießen geringe Pensionen seither. Hier assoziierte sich Fritz mit einem jungen Mann und übernahm mit demselben eine Apotheke in Fond du lac, wozu ich demselben als Darlehen eine ansehnliche Geldunterstützung gab, da er in seiner Gutmütigkeit den größten Teil seiner Ersparnisse an Kameraden verliehen hatte, um solche nie wieder zu erhalten. Die jungen Leute verstanden das Geschäft nicht und daneben traten schlechte Zeiten ein. Sie machten bankrott und verloren alles, ich zugleich meinen Vorschuß und hatte noch Ehrenschulden für Fritz zu zahlen. Dieser ging hierauf nach dem westlichen Minnesota, kaufte dort eine Farm, wozu ich und seine Brüder das Geld verschafften, welches ich letzteren seitdem zurückerstattete. Fritz zarte Gesundheit konnte die harte Feldarbeit nicht vertragen. Zum Glück wurde er zum Aucktor der obersten Verwaltungsbeamten seines Country gewählt für die Dauer von zwei Jahren, was seitdem nun zum dritten Male stattfand, ein Beweis von Achtung und Vertrauen, welche er dort genießt. Die große Farm hat er mit

größerem Vorteil seitdem verkauft. Er heiratete eine Amerikanerin, die er schon als Offizier kennenlernte und lebte mit derselben, ob gleich ihm an Bildung nachstehend, in glücklicher Ehe. Kinder haben sie nicht.

Wilhelm betrieb mit Ernst gemeinschaftlich die Backsteinfabrik, nebenher die Baumschule, die indessen nicht viel abwarf. Die beiden Brüder vertrugen sich leider nicht gut, und Wilhelm trat aus dem Geschäft aus. Er assoziierte sich mit einem Amerikaner Sturney zu Waumatosa hier in der Nähe, der dort eine Baumschule hatte, welche seitdem durch Ankauf sehr vergrößert wurde und besonders durch Großhandel betrieben wurde, ein ausgedehntes Geschäft, welches jedoch starke Konkurrenz zu bestehen hatte. Außerdem ist das Klima ungünstig und führen die harten Winde oft schwere Verluste herbei. Überhaupt wird der arme Wilhelm durch das Glück nichts weniger als begünstigt, obgleich er sein Fach gründlich versteht und selbst leider hart arbeitet, was er jetzt nicht mehr nötig hätte und wodurch er sich stets neue Fieberanfälle holt. Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet und lebt sehr glücklich. Sie haben nur ein Mädchen.

Ernst war schon früher mit Henriette Eichroth aus Baden verheiratet, die mit Hinterlassung eines Kindes starb; später heiratete er seine Cousine Berta von Kaltenborn, mit der er sehr glücklich lebt und zwei Kinder hat, einen Knaben und ein Mädchen.

Moritz wurde nach Ablauf der Dienstzeit des Stadtschatzmeisters selbst zu dieser damals mit ansehnlichem Gehalt verbundene Stelle gewählt, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, sich einiges Kapital, zugleich aber allgemeine Achtung und Vertrauen zu erwerben. Nach Ablauf seiner Amtszeit trat er mit einigen hiesigen Geschäftsleuten zusammen und gründete ein Bankgeschäft M. von Baumbach und Kompanie hier, was sich gut bewährte und dessen Präsident er wurde. Die steten Aufregungen in diesem Geschäft wirkten nachhaltig auf seine Gesundheit, so daß er häufig an Kopfschmerzen litt, die ihn tagelang arbeitsunfähig machten, obgleich er sich, wenn irgend besser, nicht von der Arbeit zurückziehen konnte. Das und der Widerwille, den er hegte, sich in allzu gewagte Spekulationen einzulassen, worauf die übrigen Teilnehmer drangen, veranlaßte ihn, aus dem Geschäft auszutreten, nachdem es ihm gelungen war, seine Bestellung als Vizekonsul zu meinem Beistand als Konsul zu erlangen, in dem wir beide hofften, ihm dadurch das Deutsche Konsulat für die Zukunft zu sichern. Wie diese Hoffnung vereitelt wurde, darauf komme ich später zurück. Moritz bewohnte hier ein schönes selbst erbautes Haus und lebt von dem Einkommen seines Vermögens und Besorgung von Kollektion in Deutschland und dergleichen. Er ist mit Anna Lesaulnier glücklich verheiratet und hat fünf Kinder.

Meine liebe Tochter Clotilde ist meine treue Pflegerin und Vertraute, ohne sie würde ich nicht leben können.

Ich kehre nunmehr zur Schilderung der eigenen Geschicke zurück. Bald nach meiner Ankunft 1856 erhielt ich durch Empfehlung meines guten Vetters Ernst in Stuttgart die Bestallung als württembergischer, später als bayrischer Konsul und später auch die

Konsulate noch mehrerer deutscher Staaten. Das zwar nur mäßige Einkommen aus demselben kam mir bei dem sehr verringertem Vermögen und den schlechten Einnahmen aus der Farm sehr zustatten zur Bestreitung der notwendigen Ausgaben.

Es kam nun zum schwersten Augenblick meines Lebens, der harten Trennung von meiner guten, lieben Minna, welche Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß mir auferlegte. Von Anfang 1870 steigerten sich bei ihr mehr und mehr die Anfälle ihres Herzleidens. Daneben trat starke Brustwassererscheinung ein, die der Armen große Qual bereitete. Endlich konnte sie kaum noch das Bett mit dem Sofa oder Lehnstuhl wechseln. Daneben trat das Anschwellen der Füße ein, welches indessen durch Einreiben mit Spiritus beseitigt wurde. Jedoch nahm die allgemeine Schwäche und schmerzhaftes Leiden immer mehr zu. Zuletzt trat drei Tage lang Bewußtlosigkeit ein, und dadurch hoffentlich auch Aufhören des Gefühls der allem Anschein nach sich immer mehr steigernden Leiden, so daß ich Gott inständigst bat, sie davon zu befreien und sie zu sich zu nehmen. Er erhörte mein Gebet, und die Arme verschied in den letzten Stunden sanft um 03:00 Uhr früh am 3. Mai – dem Geburtstag meiner guten Mutter – 1870. Ich und Clotilde haben das Bewußtsein, meine gute Frau allein und treu gepflegt zu haben, ohne fremde Hilfe, als unsere alte treue Dienerin, auf ihrem Krankenlager und darf ich mich der frohen Hoffnung hingeben, daß ihr Geist sich eines besseren Daseins im Wiederverein mit so vielen Vorausgegangenen und ihr nachfolgenden Leben erfreut. Denn, hatte irgendein Menschengeist die Hoffnung vor seinem Schöpfer zu bestehen, so gewiß der meiner guten Minna. Sie war gänzlich frei von Egoismus und gewiß kein Mensch lebt, dem sie absichtlich Übles tat. Und welche unendliche Liebe hegte sie gegen uns und alle Kinder ohne Ausnahme; nur uns Freude zu machen, jedes Mißgeschick wohl möglich fernzuhalten, war ihr stetes Bestreben und es gab kein Opfer für sie, war es auch noch so groß, das sie für uns nicht gebracht hätte.

Für mich, damals 71-jährigen Mann, war und ist dieser Verlust meiner treuen Vertrauten und Beraterin der schwerste, der mich treffen konnte. Ich gab mich der Hoffnung hin, sie würde mir die müden Augen schließen, und so wurde mir dieses Geschick ihr gegenüber zuteil. Doch in Gottes weisen Ratschluß haben wir uns alle zu fügen.

Als im Jahr 1871 das Deutsche Reich wieder hergestellt wurde, ging auch das Konsulatswesen der wohlbegründeten Veränderung entgegen, daß statt der bisherigen Konsulate der einzelnen Staaten nun Reichskonsulate errichtet wurden. Ich bewarb mich um das hier neu zu Errichtende und war dabei genötigt, in Konkurrenz mit meinem Schwiegersohn Rosenthal zu treten, der das Konsulat des norddeutschen Bundes innehatte infolge davon, daß ich früher von dessen Mitbewerbung um das da hier vakant gewordene preußische Konsulat zu dessen Gunsten zurücktrat. Meine Bewerbung wurde bei dem Auswärtigen Amt sehr ungünstig aufgenommen, hauptsächlich wohl, weil man es als sich von selbst verstehend betrachtete, daß nur bisherige Bundeskonsule alle früheren preußischen Konsule erhalten sollten, und weil der Generalkonsul in New York meinen Schwiegersohn energisch vertrat, mich aber speziell als viel zu alt zur Versehung eines Konsulates fand. Nur allein der Befürwortung alter Freunde, besonders aber meines

guten Bruders Ernst, der deren Interesse für mich zu gewinnen wußte, sowie der Befürwortung der Ministerien der süddeutschen Staaten, die ich bisher hier vertrat, schließlich aber der persönlichen Gnade des Kaisers hatte ich meine endliche Bestallung zu verdanken. Sehr schmerzlich war es für mich, daß dadurch Rosenthal in seiner sicheren Hoffnung getäuscht wurde; ich war aber gezwungen, für meine pekuniären Verhältnisse zu handeln. Denn nach Verlust aus den Einnahmen aus den bisherigen Konsulaten hätte ich in der Tat nicht mehr bestehen können, würde auch jede gewohnte geistige Beschäftigung verloren haben. Rosenthal aber war Advokat und konnte, wenn er diesem Beruf seine volle Tätigkeit zuwandte, dadurch dennoch leben. Zu meiner größten Freude wurde demselben wenige Jahre darauf das fix besoldete Konsulat zu San Francisco verliehen.

Im Frühjahr 1872 entschloß ich mich, obgleich schon 72 Jahre alt, zu einem Besuch der alt geliebten Heimat nach 23-jähriger Abwesenheit und trat zu diesem Zweck in Clotildes Begleitung die weite Reise an, landete glücklich in Bremen, von wo wir sofort weiter nach Kassel zogen. Dort wurden wir, wie überhaupt allenthalben, wohin wir später reisten, mit der herzlichsten Liebe von allen teuren Verwandten empfangen. Herzlich freute es mich, daß mir Gottes Gnade vergönnte, noch einmal das geliebte alte Vaterland wiederzusehen und die zurückgelassenen, noch lebenden Lieben. Nach kurzem Aufenthalt in Kassel reisten wir nach Kirchheim, wohin ich mich besonders sehnte. Unendlich rührend war für mich die herzliche Willkommnung meines Bruders Hermann, herzergreifend aber das Bestreben desselben, mir seine betrübende körperliche Lage, die nur zu oft heftig auftretenden Schmerzen möglichst zu verbergen. Ich verbrachte den größten Teil meines Aufenthaltes im Vaterlande in Kirchheim, nur einige kleine Reisen nach Nentershausen, Meiningen und Buchenau unternehmend. Viele Fußtouren unternahm ich in meine geliebten Waldungen, zum Teil auch der neu erwachten Jagdlust gewidmet und fand ich mich noch weit rüstiger, als ich selbst zu hoffen wagte. Es gelang mir, mich nach und nach an das ungewohnte Bergsteigen zu gewöhnen, so daß ich sogar mehrere Male die äußerste Höhe des Löscher's erstieg und anhaltende achtstündige Fußtouren mich wenig angriffen. Auch die hier ganz eingeschlafene Jagdfreude fand ihre Erledigung, so daß ich in der Blatezeit mehrere Rehböcke, später auf dem Anstand wohl ein Dutzend Hasen erledigte.

Es war eigentlich meine Absicht, circa ein Jahr in Deutschland zu bleiben, da Moritz mittlerweile meine Konsulatsgeschäfte besorgte. Doch konnte ich mich auf die Länge nicht wieder an die dortigen, von den hiesigen so abweichenden Verhältnisse gewöhnen und sehnte mich nach Wiedervereinigung mit meinen Kindern hier, hegte auch Besorgnisse, wie ich den Winter ohne geregelte Beschäftigung hinbringen sollte, und da auch Clotilde Verlangen nach der Heimreise trug, so traten wir dieselbe im Oktober 1872 nach einem nicht sehr langen Aufenthalt in Kassel an, wo uns der gute Bruder Ernst und seine Clotilde aufs Freundlichste aufnahmen. Nach einer etwas stürmischen Überfahrt landeten wir im November glücklich in Baltimore und kamen von da in ununterbrochener Reise ebenso glücklich hier wieder an.

Bald nach meiner Rückkunft wurde ich von einem oft recht lästigen Kehlkopfleiden befallen,

abwechselnd bald stärker, bald gelinder auftretend – infolge von Anschwellung der Schleimdrüse in der Luftröhre. Sehr häufig war mir dadurch das Gehen, besonders bei wenn auch geringer Steigung recht beschwerlich, da sich die Beschwerden auch mit auf die Brust erstreckten, überhaupt asthmatischer Natur sind. Touren, wie ich sie 1872 in Kirchheim machte, wären schon 1873 für mich unmöglich gewesen. Daneben hat auch mein schlechtes Gehör in neuerer Zeit zugenommen, auch Augenschwäche hat sich eingestellt, besonders bemerkbar am häufigen Tränen, besonders bei Kälte oder irgend scharfem Wind, doch kann ich zum Glück noch unbehindert lesen und schreiben, selbst bei Licht. Die Körperschwächen mehren sich überhaupt, kein Wunder, wenn man das 79. Lebensjahr angetreten hat. So bin ich nicht mehr fest auf den Beinen, kann nur beschwerlich aufstellen, ja kürzlich hatte ich sogar einen Anfall von Ohnmacht, eben aus der Stadt heimgekehrt und stürzte völlig bewußtlos zu Boden. Doch im allgemeinen habe ich Gott zu danken, daß er mir Gesundheit bis daher noch so gut erhalten hat, besonders, mir noch guten Schlaf geschenkt.

Meine Absicht war, Moritz mit Beginn des Jahres das Konsulat zu übertragen, mir nur einen Teil an den Einnahmen und Beteiligung am Geschäft vorbehaltend, um etwas zu tun zu haben, da ich durch Ersparnisse an dem Konsulatseinkommen von Dollar 1.500 jährlich meine Vermögensverhältnisse wieder etwas verbessert habe, und mit einem Einkommen von einigen Dollar Hundert aus dem Konsulat bei meinen nicht großen Bedürfnissen mit Not bequem leben konnte. Da erhielt noch vor Ablauf des Jahres 1876 das bisher bloße Gerücht seine volle Bestätigung, wie beabsichtigt werde, die sämtlichen Wahlkonsulate im hiesigen Binnenlande aufzuheben und statt derer nur ein paar besoldeter Konsulate mit gelehrten Doktoren – angehenden Diplomaten aus Berlin – zu errichten, und diese Maßregel ist seit 01. April dieses Jahres (an. curr.) wirklich ins Leben getreten, indem in St. Louis und Chicago solche Konsulate errichtet wurden. Ich versuchte, dagegen zeitig zu remonstrieren, nicht sowohl in meinem Interesse, als in dem von Moritz, dem man Rücksichten schuldete, da derselbe von dem Auswärtigen Amt bei Bestellung als Deutscher Vizekonsul auf das hiesige, seit 10 Jahren innegehabte Konsulat zu verzichten, gezwungen würde. Ich bat, Moritz – wenn nicht das hiesige Konsulat wie bisher zu belassen, jedoch eins der neuen Konsulate zu übertragen, wozu er, wenn verlangt, die vorgeschriebenen Examen zu machen bereit sei, wäre aber auch dies nicht zulässig, ihm mindestens eine angemessene Stellung in einem solchen zu übertragen, indessen alles vergeblich, wie auch eine direkte Bitte an den Kaiser, wozu ich mich endlich ungern entschloß. Zwar wurde zugesagt, Moritz eine Beschäftigung in Verbindung mit den neuen Konsulaten zu gewähren; aber auch in dieser Beziehung fand seitdem nicht einmal eine leise Andeutung statt. Ich hob daneben hervor, wie nachteilige Folgen die Aufhebung des Preußischen Konsulates für die hiesigen Deutschen (in Milwaukee allein 60.000, in Wisconsin 300.000) haben müßte, außerdem aber auch auf rasche Erledigung von Aufträgen und Gesuchen aus Deutschland. Behauptet wurde, man müsse ein einheitliches System von nur Berufskonsulen in den Vereinigten Staaten einführen, und doch läßt man Wahlkonsule in allen Hafenplätzen am Atlantischen Ozean, wo – so sollte man doch meinen, vorzugsweise intelligente und gehörig geschulte Konsule bestellt sein müßten, des dort bestehenden internationalen Verkehres wegen. Die Maßregel hat offenbar

ihren Ursprung bei dem Deutschen Generalkonsulat in New York. Dr. Schuhmacher aus Bremen, unterstützt durch den als Autorität für Amerika geltenden, ihm befreundeten Abgeordneten Kapp, während beide den Westen gar nicht kennen, Herr Schuhmacher, wohl seiner Pflicht zuwider, nicht einmal eine flüchtige Reise dorthin machte. Wahrscheinlich wollte dieser in seinem Büro beschäftigte Diplomaten Drs. entweder gerne befördern – beide erhielten die zwei errichteten Berufskonsulate im Binnenlande – oder vielleicht auch gerne loswerden. Für Beibehaltung der Wahlkonsulate in den Seehäfen liegt aber der Gedanke nahe, daß dies geschah, weil sie Freunde des Generalkonsuls, wenigstens engere Landsleute, Bremenser sind. Bei dem Auswärtigen Amt mag vorherrschender Bürokratismus ohne jede Berücksichtigung der lokalen Verhältnissen den Ausschlag gegeben haben. Mich trifft diese Maßregel hart, besonders in Bezug auf Moritz, beraubte mich aber auch eines namhaften Einkommens, mir manche Einschränkung auferlegend, härter aber beinahe noch durch Entziehung der gewohnten geistigen Beschäftigung, die ich in anderer Weise bei meinem hohen Alter nicht ersetzen kann.

Doch denke und hoffe ich, Gott ruft mich bald vom Schauplatz meiner Tätigkeit ab, um meinen, von schadhaft gewordenen irdischen Banden befreiten unsterblichen Geist mit den vorausgegangenen Lieben wieder zu vereinigen und demselben einen neuen Wirkungskreis anzuweisen, worauf ich in festem Glauben hoffe. Der Gedanke, noch viel älter zu werden, ist mir peinlich und hat für mich etwas Abschreckendes. Nur sehr wenige leben noch im alten Vaterland, mit denen ich einst jung war und jung fühlte, hier nicht ein einziger. Was kann das Leben noch für einen Reiz haben, bei stets zunehmenden Körpergebrechen? Nun, Gottes Wille geschehe, nicht der meinige.

Möge mir derselbe in seiner Gnade nur einen langen Todeskampf ersparen, doch auch hier unterwerfe ich mich seinem Willen.

Ich fühle, ich bin weitschweifig, wohl allzu weitschweifig – in Schilderung der eigenen Geschicke geworden und will schließen. Nur einige allgemeine Betrachtungen seien mir noch bezüglich der Lage der jetzigen Gesellschaft gestattet und deren Zukunft. Ich blicke durch die Altersbrille, die ja erfahrungsmäßig alles zu schwarz sieht, was hoffentlich bei mir der Fall sein wird.

Blicke ich in die Vergangenheit zurück, so hat das menschliche Geschlecht auch in sittlicher Beziehung äußerlich große Fortschritte gemacht, wer vermag das zu leugnen. Weder Hexen werden mehr verbrannt, noch Autodafés abgehalten; grausame Strafen stehen nur noch im Kriminalcodex, kommen aber nicht mehr zur Anwendung; man erblickt allenthalben weniger äußerliche Rohheit, und das menschliche Geschlecht scheint in der Tat fortgeschritten. Blicke ich nun gar in industrieller Beziehung auf den Beginn des jetzigen Jahrhunderts, besonders die letzten 50 Jahre zurück, welche Veränderungen nehme ich wahr? Welche Wunder – man kann sie füglich so nennen, hat der menschliche Erfindungsgeist geschaffen. Wohin sind die früheren Entfernungen geschwunden, wer hätte noch vor 50 Jahren für möglich gehalten, Begebenheiten, die heute in einem Weltteil stattfinden, noch an demselben Tag dem anderen Kontinent mitzuteilen? Für

möglich gehalten, durch die in allen Geschäftszweigen erfundenen Maschinen mit Beihilfe weniger Menschenkräfte Erzeugnisse zu schaffen, wozu früher die Kräfte von Hunderten von Menschen nötig waren, und zwar in weit größerer Vollkommenheit als früher? Haben sich aber auch die Folgen bewährt, die Optimisten mit so großer Zuversicht erwarteten? Haben die Kriege zwischen Nationen etwa aufgehört, durch die eingetretenden näheren Beziehungen untereinander, das dadurch geweckte Bewußtsein, daß die Interessen derselben die nämlichen sind? Nun, sie dauern fort wie früher und werden nur mit größerer Masse und Verlusten geführt. Mit Hilfe der vervollkommnetsten Mordwaffen der verschiedensten Art. Hat sich der vielfach laut gewordene Ausspruch bestätigt, daß durch die Erfindung und Gebrauch der Maschinen die Menschen von der Sklaverei der Arbeit erlöst würden? Nein, wenn auch dies nicht der Fall ist, so ist doch durch den Gebrauch der Maschinen ein großer Teil der Menschheit der Arbeit und deren Verdienst beraubt, und wer vermag es in Abrede zu stellen, daß durch die Maschinen in neuster Zeit ein Mißverhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten, gewissermaßen eine Überproduktion eingetreten ist?

Mit Freuden muß die Verbesserung an den Schulen allenthalben anerkannt werden, wenn auch hier leider noch der Schulzwang fehlt. Welche Folgen sind nun für die Moralität und Sittlichkeit eingetreten? Manche Roheiten sind wohl verschwunden, oder wohl mit einem äußeren Firnis bedeckt, eine Verminderung größerer und kleinerer Verbrechen aber nicht bemerkbar.

Der politischen und Beamtenkorruption will ich gar nicht gedenken, die vom hiesigen Gourvernement auszurotten versucht werden. Dieser Korruption sind Inhaber und Beamte großer Geschäfte verfallen, die mit anvertrauten Geld spekulieren, beim fehlschlagenen Mißgeschick dann nach Möglichkeit zusammenraffen und die Flucht ergreifen, dadurch viele mit ins Verderben stürzend. Daneben häufen sich auch die gemeinen Verbrechen und sind Anfälle auf offener Straße am hellen Tage mit dem Revolver nichts Seltenes. Obstruktionen auf der Eisenbahn werdend angebracht, wodurch zahlreiche Menschenleben zugrunde gehen, nicht nur um zu stehlen, sondern um der Rache gegen einzelne oder gegen die Besitzer der Bahn zu genügen, und, kommt der Fall selten genug vor Gericht, so spricht die Jury frei oder kann sich nicht einigen. Die Erziehung der Kinder im elterlichen Haus ist so schlecht wie möglich, und viele derselben werden, selbst die aus sogenannten gebildeten Ständen, Wafers (Straßenläufer), oder noch Schlimmeres.

Wahre Religiosität hat sich vermindert, zum großen Teil durch die Lehren vom Materialismus, die hier in der sogenannten freien Gemeinde gepredigt werden. Ich verkenne nicht den Nutzen der neuen Forschungen in der Naturlehre, beklage aber die traurigen Folgerungen einzelner, die sie selbst nicht verstehen, aber doch auf andere Zuhörer übertragen. Der größte Teil der Amerikaner, namentlich der gebildeten Stände, hat eine äußere, auf die Dogmen seiner Kirche gestützte Religion, trägt sie möglichst zur Schau, aber wirkliche Religiosität geht ihnen ab. Zahlreiche Kirchen der verschiedensten Sekten existieren, sind sonntags auch gefüllt; denn sie glauben, durch zwei bis dreimaligen Besuch, häufiges Bibellesen sich ein Verdienst bei Gott zu erringen und denken dann

aber, wenn der Sabbat vorüber, nur an ihren Gelderwerb, "Member of the church" zu sein, gilt als Verdienst, zugleich aber als Mittel, im Geschäft voranzukommen und als Schild gegen darin vorkommende Überschreitungen.[GWR 10]

Wie wird sich die soziale politische Zukunft meines geliebten Vaterlandes und Amerikas gestalten? Deutschland mit den übrigen europäischen Großstaaten seufzt unter den hohen Kosten und Nachteilen eines übertriebenen Militarismus, der sich zweifellos noch steigern wird. Denn, versucht ein Staat, seinen Militäretat zu erhöhen, alsbald erkennen darin die anderen die Notwendigkeit, dasselbe zu tun, aus Besorgnis vor möglichen Angriffen. Dieser Grund dient als Rechtfertigung vor den Parlamenten, und diese wollen die mögliche Verantwortung nicht übernehmen, die eine Verweigerung zur Folge haben könnte. Wo soll aber endlich eine solche fortdauernde Kosten und Steuererhöhung neben nutzloser Vergeudung der besten Menschenkräfte hinführen? Eine Gefahr, in der Deutschland schwebt, ist die Besorgnis eines Revanchekrieges mit Frankreich, eine Besorgnis, die sich später oder früher erfüllen wird, sei es in einer Veränderung im dortigen Regierungsystem, sei es, daß Frankreich einen Alliierten findet, das wohl keineswegs unmöglich ist, denn die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in einer früher nicht bestandenen Kraft hat mehr Neid als Freundschaft bei den Nachbarn erweckt.

Aber alle diese Gefahren fürchte ich nicht so sehr, als eine andere, die drohend am Horizont steht und immer mehr Boden gewinnt. Das ist die Sozialdemokratische Partei. Von den Führern wird das Volk systematisch bearbeitet, und tritt der rechte Augenblick ein, wird derselbe den Proletarierstand weit besser für einen Ausbruch – denn höchstwahrscheinlich in geheimer oder offener Verbindung mit der ultramontanen Partei, allerdings nur zeitweise, vorbereitet finden, als dies 1848 der Fall war, wo das gefährliche Element schon bestand, allerdings nicht unter diesem Namen. Was dann erfolgen wird, davon gab ein Vorgeschmack die Pariser Kommune. Dauern kann allerdings eine solche Herrschaft nicht, da sie destruktiv schon an sich ist und sehr bald durch Uneinigkeit unter sich zugrunde gehen muß, aber sicher lang genug, um Kultur- und Wohlstand zu vernichten. Folgen kann und wird ihr nur die Despotie und in solcher als natürlicher Folge jede, auch vernünftige Freiheit zugrunde gehen. In dem Kampf gegen diese Partei wird sich das Militär nicht bewähren, worauf allerdings gegen einen äußeren Feind zu rechnen ist. Das Heer selbst wird von einer Ansteckung dieser Lehren und Partei nicht frei bleiben, wenigstens nicht unter dem Teil desselben, der in das bürgerliche Leben zurücktrat – wohl der Kern des Heeres – Reserve und Landwehr. Oder glaubt man, der Soldat werde auf seinen Vater und Brüder feuern? Sehr schwer wird es sein, jetzt gegen die Lehren dieser Partei zu kämpfen, Gewaltmaßregeln halte ich für unwirksam, das vielfach vorgeschlagene Mittel besseren Schulunterrichts für einzig wirksam, aber wohl erst bei der kommenden Generation, also zu spät. Einstweilen wird aber ein besserer Schulunterricht ohne Unterstützung von häuslicher Erziehung nur noch mehr zur Verbreitung dieser Lehren beitragen.

Für die Vereinigten Staaten fürchte ich weniger von der Sozialdemokratischen Partei, obwohl auch hier ohne jede Einschränkung vertreten, ihre Lehren sogar offen zum reinen Kommunismus ausdehnend; doch werden dieselben von der irgend einflußreichen Presse

kräftig bekämpft und finden überhaupt nur in großen Städten Boden, und das auch in weit geringerem Grade, wie in Europa, nicht aber auf dem Lande, wo zum Glück ein Proletariat nicht besteht, im Gegenteil der ehrenvolle Stand der Farmer, jeden Versuch, diese Lehren ins Leben zu rufen, bekämpfen würde.

Leider finden sich jedoch andere Elemente vor, die mich, ungeachtet ihrer vortrefflichen, auf dem Papier stehenden Institutionen, wenigstens in ihrer jetzigen Gestalt, zweifeln lassen. Es ist dies die schon erwähnte Korruption der politischen Parteien, deren Führer, um ihre selbstsüchtigen Zwecke zu fördern, vor keinem Mittel zurückschrecken. Sie werden – glauben sie, daß dies dazu gereichen werde – durch Annektion fremden Gebietes – obgleich das jetzige für Bestand einer Republik schon viel zu groß ist – Kriege zu veranlassen suchen, die hier durch Aufgebot von Freiwilligen geführt werden müßten. Die Unterhaltung eines Soldaten kostet hier aber das Zehnfache wie in Europa. Dazu würden, gerade, wie im letzten Bürgerkrieg zahlreiche Betrügereien kommen, von unseren erbärmlichen Finanzmännern nur neues Papiergeld geschaffen und dadurch die Schuldenlast vermehrt werden, so daß das Volk zur Reputation schreiten werde und dadurch Verderben unter alle Klassen verbreiten, und es endlich zum Zerfall der Union kommen werde. Außerdem ist dieselbe aber schon über ein bei weitem zu großes Territorium, zumal für eine Republik ausgedehnt, wo sich viele Interessen schroff gegenüberstehen. Solange noch unbevölkerte Strecken sie trennen, findet einigermaßen Ausgleich statt, da der Unzufriedene dahin auswandert, wozu der Amerikaner überhaupt Neigung hat. Das kann aber nicht mehr lange dauern. Die Union wird sich auflösen. Neue Staaten werden entstehen, vielleicht unter verschiedenen Regierungsformen, und endlich Kriege auch nicht ausbleiben. Ich werde dies hoffentlich nicht mehr erleben, doch wird diese Prüfungszeit meinen Kindern kaum erspart bleiben.


- Ende -


Die Erinnerungen schließen[GWR 11] mit dem 22.04.1877 Ludwig von
Baumbach starb in Milwaukee am 26- Januar 1883.


Wappen von Baumbach


Anmerkungen der GenWiki-Redaktion

  1. Druckfehler in Textvorlage: weiche
  2. Im Text als Wilhelm J bezeichnet, wg. Typengleichheit als Wilhelm I. angesehen.
  3. Druckfehler in Textvorlage: Brüder
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 Druckfehler in Textvorlage: dein
  5. Druckfehler in Textvorlage: vorn
  6. Vermutlich(!): fausse couche = (frz.) Fehlgeburt
  7. Druckfehler in Textvorlage: Herrnann
  8. Vermutlich ein Abschreibfehler, „zu schreiten“ wäre treffender.
  9. Druckfehler in Textvorlage: zurükkkomme
  10. 10,0 10,1 Druckfehler in Textvorlage: Komma statt Punkt.
  11. Druckfehler in Textvorlage: schießen