Herforder Chronik (1910)/059

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Herforder Chronik (1910)
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Sonnen anzusehen sind, über der grossen Tür an der Seite nach Mittag, der Kirche zum Merkzeichen beigefüget.“

Die Marienkirche auf dem Berge[1].

Wie Äbtissin Gotesda auch die Erbauerin der Stiftskirche auf dem Berge vor Herford geworden, darüber laßt sich die Sage folgendermaßen vernehmen: Es war am Tage Gervasii und Portasii, d. i. am 18. Juni 1011, als die Äbtissin Gotesda von einer Besichtigung des Baues ihrer Herforder Stiftskirche heimkehren wollte. In der Vorhalle des Münsters tritt ein von Hunger augenscheinlich abgemagerter Hirtenknabe auf sie zu. Seine auf sie gerichteten Blicke verraten ihr, daß er ihr eine Mitteilung zu machen wünsche. Sie ermutigt ihn zu sprechen, und er erzählt nun, daß ihm im Walde bei hellichtem Tage die Patronin des Herforder Klosters, die hl. Jungfrau Maria, in strahlendem Lichtglanze erschienen sei. Sie habe ihm befohlen zu melden, daß, wenn die Stiftsdamen ein Gott wohlgefälligeres Leben zu führen anfingen, als sie bisher getan, so werde sie das Kloster starker, als Mauern es vermöchten schützen; den Ort aber, wo sie ihm erschienen sei, solle man zu ihrer Anrufung weihen. Wolle man ihm nicht glauben, so möge man ihn am Leib strafen, er werde, so habe ihm die hl. Jungfrau verheißen, unverletzbar sein. Zum Zeichen, daß er wahr geredet, habe er die Stelle, wo ihm die Erscheinung geworden, mit einem aus seinem Stabe geschnitzten Kreuze bezeichnet, und wo Maria Fuß gestanden, werde man eine weiße Taube sitzen sehen. Die Angaben des Hirtenknaben waren zu deutlich und eindringlich, als daß man sie kurzerhand hätte zurückweisen dürfen. Gotesda besprach sich mit den Kanonissen (Stiftsfräulein), mit Geistlichen und gelehrten Männern anderer Klöster, man fastete und betete um Erleuchtung und beschloß, den Knaben der Wasser- lind Feuerprobe zu unterwerfen. Aber wie er es vorausgesagt hatte, so geschah es: im Wasser sank er nicht unter, und das von ihm getragene glühende Eisen verletzte ihn nicht. Und als schließlich an dem Erscheinungsorte die Taube über des Hirten Kreuz gesehen wurde, schwand der letzte Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.

Die Äbtissin begann alsbald an dem Orte der Erscheinung den Bau einer Marienkirche, die sie „ad crucem“, d. i. zum Kreuze, benannte. Sie gründete außerdem bei dieser Kirche ein Stift für zwölf adelige Damen „up den Luttenberge vor Herford“ oder wie es in alten Urkunden heißt: monasterium S. Mariae ad montem visionis extra muros oppidi Hervordiensin. (D. i. Kloster der h. Maria auf dem Berge der Erscheinung außerhalb der Mauern der Stadt Herford.) Zum Andenken an diese Erscheinung (visio) der heiligen Jungfrau und an die damit zusammenhängende Gründung der Kirche und des Stiftes wurde der Tag Gervasii und Portasii, der 18. Juni, als Kirchweihfest festgesetzt, das, kurzweg „Vision“ genannt, bis auf den heutigen Tag in fast unveränderter Gestalt mit Gottesdienst und Markt abgehalten wird. In abteilichen Zeiten pflegte die Küsterin des

  1. Ludorff, S. 39-42, Tafel 33-38.