Die Probstei in Wort und Bild/116

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Die Probstei in Wort und Bild
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Probstei in Wort und Bild.djvu
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Hierher gehört auch noch die Sitte der Probsteier, daß Abgebrannte sich ein ganzes Jahr hindurch in Trauerkleidern zu zeigen pflegen.

Nächtliche Besuche bei den Mädchen (na'n Deerens gahn).

Diese gewöhnlich einseitig verurteilte, immer aber wie für die Sittlichkeit überhaupt, so besonders für die so wichtige weibliche Schamhaftigkeit und auch sonst noch in mehrerer Hinsicht nachteilige Sitte ist nicht den Probsteiern ausschließlich eigen. Ich habe sie, nur unter verschiedenen Benennungen und Modifikationen, bei mehreren Völkern gefunden. Sie existierte bei den Fehmeranern, wo sie durch fürstliche Verordnungen von 1702 und 1706, und durch geschärftere Königl. von 1838 und 1852 verboten ist, unter dem Namen Fenstern in einer für die Sittlichkeit weit nachteiligeren Gestalt. Auch in der Landschaft Osterland Föhrde wurde das Nachtfreien und die Aufsitzergelage durch eine Königl. Verordnung von 1740 wegen des damit verbundenen Unfugs untersagt. In der Schweiz führte sie den Namen Kiltgang. In den Dörfern um Bregenz heißt sie Fügen. Keßler erzählt hierüber eine sehr naive Aeußerung eines Greises. Die Obrigkeit wollte diese Sitte abschaffen, die Bauern aber sie sich nicht nehmen lassen. Sie nahmen einen Advokaten aus Lindau an, und in einer gehaltenen Versammlung trat ein Greis auf, und gab folgende Erklärung ab: Mein Großvater hat gefügt, mein Vater hat gefügt, ich habe gefügt, und also will ich, daß mein Sohn und seine Nachkommen auch fügen sollen. Im Rudolstädtischen wurden die Verlöbnisse auch bei Nacht geschlossen, und dagegen eine eigene Verlöbnisverordnung gegeben. Auch das Korteln der Helgoländer scheint mir hierher zu gehören.

Nach allen Nachrichten, die ich darüber habe einziehen können, war diese Sitte bei den alten Probsteiern zwar nicht durchaus zu billigen, aber doch auch nicht so durchaus verwerflich, wie man gewöhnlich glaubt. Sie hatte mehrere bedeutende Nachteile, aber sie verletzte nicht so durchaus allen Anstand, wie häufig erzählt wird. Sie war immer Nachtschwärmerei und als solche, besonders in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, tadelnswürdig, sie war häufig mit Mutwillen, zuweilen mit Unfug vergesellschaftet; allein sie war doch nicht jene wilde, ausgelassene, zügellose Sinnlichkeit, wofür sie meistens gehalten wird. Mehrere junge Leute, oft ganze Schwärme, und je größer ihre Anzahl war, desto gefahrloser, beredeten sich zu einem nächtlichen Besuche zuweilen bestimmt bei einem Mädchen, zuweilen unbestimmt bei mehreren auf andere Dörfer, wozu sie den Bauern ihre Pferde aus den offenen Ställen ungefragt wegnahmen. Die Seitenthür des Hauses war nie verschlossen, sie gingen ungehindert ein, und umlagerten nun das Bette des Mädchens von allen Seiten. Zuweilen mußte das Mädchen aufstehen, Licht anzünden und Getränk holen, dann ging sie wieder zu Bette, und die jungen Leute hielten dann vertraute Unterredungen, oder sangen Volkslieder. So machten sie in einer Nacht mehrere Besuche. Wer ernsthafte Absichten auf ein Mädchen hatte, ging allein, wurde dann vorzüglich bewirtet, beschenkt und das versprochene Mädchen, welches vielleicht ihrem Freier alles erlaubte, nahm weiter keine Besuche an. Ihre Antwort: Jungs, ick heef een Frier, scheuchte die Schwärme zurück. Zuweilen gingen auch wohl Einzelne, jeder für sich, oder paarweise, wahrscheinlich in sträflicheren Absichten, aufs Geradewohl zu ganz unbekannten Mädchen, und da war der sonderbare Gebrauch, daß man, um das Mädchen doch wenigstens vorher zu beäugeln, Feuerzeug bei sich führte, und über dem Mädchen wiederholt Feuer schlug. Daß auch bei diesen Nachtschwärmereien die gröbere Sinnlichkeit Nahrung fand, daß auch der Venus vulgivava gehuldigt wurde, wage ich nicht zu leugnen; indeß glaube ich, überzeugt sein zu dürfen, daß bei den größeren Zügen keine Unanständigkeiten vorfielen. Die jungen Leute verfielen häufig auf Mutwillen, trieben auch mitunter Unfug, besonders, um sich an solchen Hufnern zu rächen, die ihre Ställe oder Seitenthür verschlossen hatten. So erinnere ich, daß ein solcher Hufner an einem Morgen seine Wagen auf dem Dache der Scheune, mit Dünger beladen, erblickte.