Grundzüge einer quantitativen Genealogie (Rösch)/006

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Grundzüge einer quantitativen Genealogie (Rösch)
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a. Begriffe der Verwandtschaft

      Es sind zwei verschiedene Gedankenkreis, die dem unbefangenen Laien vorschweben, wenn von Vws. gesprochen wird. Man findet zwei Musikstücke oder zwei Maler „verwandt“ miteinander ebenso, wie man von verwandten Sprachen oder Wörtern redet; die Tochter ist ihrer Mutter oder ihrem Onkel „wie aus dem Gesicht geschnitten“, und das Gedicht rührt im Leser „verwandte Saiten“ an. In all diesen Fällen möchte man auf Ähnlichkeiten in gewissen Einzelheiten der Objekte hinweisen, wobei nur im Hintergrund der Gedanke an eine gemeinsame „Abstammung“ im weitesten Sinne (gleiche Schule, Geistesverwandtschaft, Wahlverwandtschaft) steht.

      Die andere Auslegung des Begriffes „Verwandtschaft“ hält sich streng an die physischen Gegebenheiten und zielt auf den Nachweis von Abstammungsbeziehungen hin; sie befaßt sich ausschließlich mit Lebewesen. Der Maler Amselm Feuerbach ist danach wohl mit dem ganz anders geartenen Philosophen Ludwig Feuerbach verwandt, nicht aber mit seiner „seelisch-verwandten“ Stiefmutter Henriette Feuerbach geb. Heydenreich. Das Wesentliche an diesem biologischen Verwandtschaftsbegriff ist die Existenz irgendwelcher gemeinsamer Vorfahren der beiden Partner in dem Geflecht des naturgesetzlichen Ablaufs der Entwicklung des Lebens. Daß also der Mineralog von „Mineralfamilien“, der Mathematiker von „Kurvengeschlechtern“ redet, ist eine übertragene Denkweise im Sinne der obigen ersten Auslegung und hat mit biologischer Vws. nichts zu tun.

      Beide Auffassungen sind sich aber darin einig, daß „verwandte“ Dinge oder Einzelwesen in manchen Eigenschaften sich ähneln, was sie im Vergleich mit anderen Lebewesen garnicht oder nur in geringerem Grade tun; die erstere Auffassung, die wir die psychische nennen können, macht solche Ähnlichkeiten jedoch zur notwendigen Voraussetzung für ihre Vws.-bezeichnung, während die biologische Erfahrung ergibt, daß bei physisch Verwandten wohl häufig solche Ähnlichkeiten auftreten, aber durchaus nicht auftreten müssen, ja, daß manchmal erbfremde Individuen gewisse Eigenschaften gemeinsam haben können, die bei nahen Verwandten „durch Zufall“ verschiedenartig ausfallen. Diese scheinbare Regellosigkeit hat die Erforschung der Erbvorgänge sehr erschwert und führt in ein umfangreiches, im Prinzip heute weitgehend geklärtes Wissensgebiet, das aufzurollen hier nicht unsre Aufgabe sein. soll.

α. Verwandtschaft in der Rechtskunde

      Wir wollen uns auf der Suche nach exakten Definitionen und quantitativen Beziehungen in einem Wissensgebiet umsehen, das in der Praxis viel mit Vws.-fragen zu tun hat. Die Juristen stellen täglich an die Zeugen die Frage nach verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Angeklagten, sie haben gegen unzulässige Eheverbindungen bei nahen Bluts.-vw. einzuschreiten, sie haben als Nachlaßrichter und als Verwalter von Stipendien und Fideikommissen oft komplizierte Erbschaftsfragen auf Grund von Vws.-nachweisen zu klären. Wie sieht nun der Begriff der Vws. aus?